Veröffentlicht am 07.11.2016
Es ist nach Durchsicht des aktuellen
BARMER GEK HEIL- UND HILFSMITTELREPORTS 2016 schwer vorstellbar, dass dieser von Fachleuten geschrieben worden sein soll, wenn man sich mit dessen Inhalten ernsthaft auseinandersetzt.
Ungenauigkeiten durch den Vorstandsvorsitzenden der BARMER GEK selbst, wie der Hinweis, dass der Heil- und Hilfsmittelreport nun das 7. Mal erschienen ist, obwohl es sich um den 13. Report handelt, wovon 6 lediglich vor der Fusion mit der BARMER von der GEK erstellt wurden, muten noch harmlos an.
Hatten sich die letzten Reports zu einer wissenschaftlichen Broschüre gemausert, fällt dieser Report sowohl qualitativ als auch quantitativ wieder in die Steinzeit zurück.
Bloße Vermutungen werden darin als Fakten verkleidet und führen beim Laien oder Halbwissenden zu falschen Rückschlüssen mit tragischen Konsequenzen, wenn die Politik so einem halbseidenen jedoch vermeintlich seriösen Report erliegt oder er dem ein oder anderen Vertreter gar zu pass kommt. Um das auszuschließen, wird nachfolgend die Kernthese dieses Reports widerlegt.
Eine These die in der Vergangenheit schon mal „en vouge“ war, wiederlegt wurde und nun wieder aus dem verstaubten Keller geholt wurde einmal mehr nach dem Credo: …mit den Heilmittelerbringern kann man es machen: Es geht um die
angebotsinduzierte Nachfrage
Die angebotsinduzierte Nachfrage besagt, dass die Inanspruchnahme einer Leistung im Gesundheitswesen mit steigender Anzahl an Leistungserbringern zunimmt, auch bei nicht sinkenden Preisen, da die Leistungserbringer Umfang und Struktur der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen selbst beeinflussen und bei der Festlegung der Nachfrage eigene (Einkommens-)Interessen verfolgen. Es wird dabei im Heil- und Hilfsmittelreport 2016 so getan als wäre das die einzige Erklärung. Die viel näher liegende Erklärung für dieses Phänomen ist jedoch der volkswirtschaftlich so genannte
Zeitkosteneffekt.
Bei dieser These wird angenommen,
dass im Gesundheitssektor ein Nachfrageüberhang (mehr Behandlungsbedürftige als Behandelnde) besteht, der auch bei voller Kapazitätsauslastung der Heilmittelerbringer nicht bedient werden kann.
Dementsprechend steigt die Nachfrage parallel mit dem Angebot an, wenn sich in einer Region weitere Heilmittelerbringer niederlassen. Mit dem
Zeitkosteneffekt lässt sich eine Ausdehnung der Leistungsmenge bei steigender Arzt- oder Therapeutendichte zudem auch mit rationalen Entscheidungen der Patienten begründen. Die Inanspruchnahme ärztlicher oder therapeutischer Leistungen ist mit Zeitkosten (Warte- und Wegezeiten) der Patienten verbunden. Mit steigender Therapeutendichte sinken die Zeitkosten der Patienten und es ist rational, die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen auszudehnen.
Die Annahme, dass die Zunahme der Ausgaben im Heilmittelbereich durch eine steigende Anzahl von Leistungserbringern auf einem Nachfrageüberhang basiert, wird durch vier Tatsachen gestützt, nämlich:
- Heilmittelerbringer können, anders als Ärzte, ihren eigenen Umsatz nicht unmittelbar beeinflussen und damit eben nicht steigern.
- Ärzte verordnen auf Grund drohender Regresse Heilmittel sehr restriktiv. Bereits ein bloßes Informationsschreiben der KVn sorgt bei Ärzten schon für einen Rückgang der Verordnungen, wie die Regressstudie des Vereins Therapiefreiheit für Ärzte aufzeigt. Nicht umsonst wurden die Heilmittelausgabevolumen in den KV-Gebieten häufiger nicht ausgeschöpft. Der Zugang zu einer angemessenen Heilmittelversorgung war und ist auch weiterhin erschwert, wir berichteten.
- Die Versorgungsquote/Versorgungsrate, also die Anzahl der Versicherten, die eine Indikation haben, die eine Heilmittelverordnung notwendig macht und diese auch bekommen, liegt weit unter der Anzahl an Versicherten, die eine Heilmittelversorgung benötigen. Bei der Physiotherapie liegt sie derzeit zwischen 34-57 % je nach KV-Gebiet, für die Ergotherapie wurden keine neuen Zahlen ausgegeben. In 2014 lag die Quote zwischen 16- 26 %. Von 100 Personen mit einer ergotherapierelevanten Indikation erhielten somit nur zwischen 16-26 Personen tatsächlich auch eine Verordnung für Ergotherapie.
- Zu guter Letzt hat die These der angebotsinduzierten Nachfrage die GEK selbst schon einmal gestellt und zwar in seinem Report 2006 und kam zu dem Schluss, dass kein signifikanter Zusammenhang feststellbar ist! 1 Manchmal täte ein Blick in die eigenen bereits verfassten Schriften gut.
Man kann den Therapeuten auf Grund dieser Fakten keine Verfolgung eigener Einkommensinteressen unterstellen, da dies wie aufgezeigt jeder Grundlage entbehrt, denn die Nachfrage nach Therapieleistungen ist einfach größer als die dafür ausgestellten Verordnungen.
Es wird damit lediglich ein bereits vorhandener Bedarf gedeckt und kein weiterer Bedarf geschaffen.
Steigender Anstieg an Heilmittelausgaben versus angemessene Vergütung der Heilmittelleistung?!
Auf Seite 16 des aktuellen Reports räumt die BARMER GEK ein, dass die Ursache für den Ausgabenanstieg im Heilmittelbereich vor allem Mengensteigerungen und eben keine Vergütungssteigerungen waren und warnt daher vor weiteren Ausgabensteigerungen, wenn Heilmittelerbringer zukünftig auch noch eine gerechtfertigte Vergütung für ihre Leistung erhielten.
Die Diskussion um die Aufhebung der Grundlohnsumme, die die Vergütung im Heilmittelbereich künstlich deckelt, ist unter dem Gesichtspunkt nachvollziehbar, dass durch diese Maßnahme weitere Ausgabensteigerungen befürchtet werden, wenn man gänzlich außer Acht lässt, dass die Heilmittelerbringer bereits seit langem und generell unterbezahlt sind, was per se schon zu ändern ist, wie Staatssekretär beim BMG Lutz Stroppe unter anderen auf der Gesundheitswirtschaftskonferenz am 03.11.16 sehr deutlich machte.
Betrachtet man zusätzlich noch die Thematik der Heilmittelleistungen in ihrer Gesamtheit, ist darüber hinaus unverkennbar, dass Heilmittelerbringer -wie keine andere Berufsgruppe- viele und deutlich höhere Folgekosten durch Erkrankungen im Gesundheitswesen einspart und schon eingespart hat, ja sie sorgen gar dafür, dass erst gar keine Kosten entstehen. Steigen daher die Ausgaben für Heilmittel wurden dafür an anderen Orten Gelder eingespart, die weit über den Heilmittelausgaben liegen.
Die Folgen einer unzureichenden Versorgung mit Heilmittelleistungen sollten daher im Fokus bei den politischen Entscheidern bezüglich des gänzlichen und nicht nur partiellen Wegfalls der Grundlohnsummenbindung im Rahmen des HHVG stehen.
Erkennbar ist die immense Kosteneinsparungsleistung von Heilmittelerbringern beispielsweise an der Entwicklung von Fallzahl und Verweildauer in Krankenhäusern. Die Verweildauer ist von 8,6 Tagen im Jahr 2004 auf 7,4 Tage in 2014 gefallen. Die frühere Nachsorge wird damit von ambulanten Heilmittelerbringern aufgefangen, die deutlich niedrigere Ausgaben im Vergleich verzeichnen. Die Fallzahlen im Krankenhaus sind von 17,2 Millionen auf 19,1 Millionen im selben Zeitraum angestiegen. Allein unter diesem Gesichtspunkt muten die Ausgabensteigerungen im Heilmittelbereich mehr als nur minimal an.
2Hinzu kommt der volkswirtschaftliche Produktionsausfall. Jeder 7. Euro Ausfall erfolgt auf Grund von psychisch bedingten Erkrankungen, die vor allem Ergotherapeuten maßgeblich verhindern oder deutlich minimieren können. Muskel- und Skeletterkrankungen verursachen darüber hinaus 125 Millionen Tage der Arbeitsunfähigkeit.
Insgesamt 19 Milliarden Euro Produktionsausfall durch Erkrankungen stehen lediglich 6,10 Milliarden Euro Heilmittelausgaben gegenüber. Der Produktionsausfall ist damit 3 mal so hoch wie die gesamten Ausgaben für Heilmittelleistungen. 3
Flankiert wird diese Erkenntnis durch Ergebnisse anderer BARMER GEK Reports.
Durch Heilmitteltherapie werden viele Operationen unnötig, offenbart der Heilmittelreport bereits 2011.
4Bei COPD, die zu den fünft häufigsten Todesursachen gehört, werden durch Heilmittelmaßnahmen Leistungskapazität und Lebensqualität erhalten und verbessert.
5Es besteht zudem Evidenz zur Effektivität von Massagen bei akuten und subakuten Wirbelsäulenbeschwerden.
Bei akuten als auch bei chronischen Beschwerden ist die Kombination aus aktiven und passiven Maßnahmen der Physiotherapie empfehlenswert. Dabei kann diese Kombination sogar Schmerzmitteln überlegen sein.
6Die bestehenden Leitlinien weisen darauf hin, dass eine Heilmitteltherapie als Ergotherapie und Physiotherapie, zumindest unterstützend bei pflegebedürftigen Menschen, auch bei Menschen mit Demenz, angewendet werden sollte. Diese Empfehlung wird nach den Daten der BARMER GEK noch nicht ausreichend berücksichtigt, möglicherweise auch deshalb, weil die Heilmitteltherapie bei älteren pflegebedürftig dementen Patientinnen und Patienten nicht mehr als notwendig angesehen wird, so der Report weiter. Die wenigen vorliegenden Studien zeigen jedoch durchaus einen gewissen Nutzen – und der steht auch älteren Menschen zu.
7
Die Wirksamkeit der Ergotherapie gerade bei psychisch-funktionellen Störungen wurde bereits 2012 von der BARMER GEK selbst bestätigt.
8Die Liste über die Wirkung und Bedeutung von Heilmittelleistungen und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft ließe sich noch lange fortsetzen.
Eine angemessene Vergütung von Ergotherapeuten und allen anderen Heilmittelerbringern ist damit nicht nur lange überfällig, sondern wird zu positiven Effekten für die gesamte deutsche Wirtschaft führen. Dem Abteilungsdenken, insbesondere dem der Krankenkassen, muss ein gesamtwirtschaftliches Denken Platz machen, wie auch Schulfächer mittlerweile und aus gutem Grund fächerübergreifend unterrichtet werden.„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt“ sagte schon Albert Einstein. Da Politik zukunftsgerichtet ist und das Wohle der gesamten Bevölkerung im Blick hat ist zu hoffen, dass der Horizont im Falle der Heilmittelversorgung einen größeren Radius für sich verbuchen kann.Die Politischen Entscheider wurden über diese hier erläuterten Inhalte informiert und neuerlich zum Gespräch gebeten.Liebe Ergotherapeuten: Sie können zudem selbst aktiv dazu beitragen, dass Sie zukünftig gerecht vergütet werden, folgen Sie dazu einfach folgendem Link oder geben bei Facebook gemeinsam aktiv jetzt ein:
https://www.facebook.com/Gemeinsam-aktiv-Jetzt-802346316573728/?fref=ts
Am 10.11.16 beginnt die 1. Lesung des HHVG!
Bei Fragen dazu steht Ihnen der BED e.V. immer gerne zur Verfügung.
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1 Seite 39:
http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Infothek/Studien-und-Reports/GEK-Schriftenreihe-Gesundheitsanalyse/Heil-und-Hilfsmittel/PDF-HeHi-Report-2006,property=Data.pdf2 Seite 28:
http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/gesundheitswirtschaft-fakten-und-zahlen-2015,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf3 Seite 34 und 35 sowie 40:
http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/gesundheitswirtschaft-fakten-und-zahlen-2015,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf4 https://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Infothek/Studien-und-Reports/Heil-und-Hilfsmittelreport/Heil-und-Hilfsmittelreport-2011/Content-HeHi-Report-2011.html5 Seite 12:
http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Archiv/2013/130918-Heil-und-Hilfsmittelreport/PDF-Heil-und-Hilfsmittelreport-2013,property=Data.pdf6 Seite 102:
http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Archiv/2012/120918-PK-Heil-und-Hilfsmittel-2012/PDF-Report-Heil-und-Hilfsmittel-2012,property=Data.pdf7 Seite: 101:
http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Archiv/2012/120918-PK-Heil-und-Hilfsmittel-2012/PDF-Report-Heil-und-Hilfsmittel-2012,property=Data.pdf8 Ab Seite 71:
http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Archiv/2012/120918-PK-Heil-und-Hilfsmittel-2012/PDF-Report-Heil-und-Hilfsmittel-2012,property=Data.pdf