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Ungleichbehandlung von Patientinnen und Patienten bei Zuzahlungen in der ambulanten Heilmittelversorgung

Veröffentlicht am 27.06.2023

Foto © canva - PublicDomainPictures

 

Die Abgeordnete Emmi Zeulner (CDU/CSU) stellte im Mai 2023 aufgrund der gemeinsamen Positionierung von BED und LOGO Deutschland unter der Arbeitsnummer 5/387 folgende schriftliche Frage an die Bundesregierung:

„Ist aus der Sicht der Bundesregierung die andauernde Ungleichbehandlung durch die aktuellen Zuzahlungsregelungen für Patienten und Patientinnen über 18 Jahren, die eine Heilmittelversorgung in Anspruch nehmen, im Vergleich zu Patienten und Patientinnen mit anderen Versorgungsbedarfen wie zum Beispiel Arzneimitteln, Hilfsmitteln und Fahrtkosten, bei denen die Zuzahlungen auf 10 Euro gedeckelt sind, angemessen und wenn ja, warum, wenn nein, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung für eine Harmonisierung der Zuzahlungsregelung für den Bereich der ambulanten Heilmittelversorgung mit anderen Versorgungsbedarfen?“

Am 1. Juni 2023 wurde die Frage durch die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) wie folgt beantwortet (Bundesregierung, 2023, S. 85):

„Die Zuzahlung stellt eine Form der Selbstbeteiligung der Versicherten an den Kosten der Heilmittel dar. Bei der Bewertung der Zuzahlungen ist zu berücksichtigen, dass die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) eine Solidargemeinschaft ist und die Aufgabe hat, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern, soweit Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugeordnet sind (vergleiche § 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V). Alle Versicherten sind in diesem Zusammenhang verpflichtet, in zumutbarem Umfang einen Eigenbeitrag zu den Gesundheitsleistungen zu tragen.

Die zu erbringenden Zuzahlungen sollen auch dazu beitragen, die Eigenverantwortung der Versicherten und das Bewusstsein für die Kosten der medizinischen Versorgung zu stärken. Eine differenzierte Ausgestaltung der Zuzahlungsregelungen der unterschiedlichen zuzahlungspflichtigen Leistungen der GKV erscheint unter dem vorgenarmten Ziel sachgerecht.

Jede und jeder Versicherte hat pro Kalenderjahr Zuzahlungen höchstens bis zu seiner individuellen Belastungsgrenze zu zahlen. Belastungsgrenzen sorgen dafür, dass kranke und behinderte Menschen die medizinische Versorgung in vollem Umfang erhalten und durch die gesetzlichen Zuzahlungen nicht unzumutbar belastet werden. Die Belastungsgrenze beträgt 2 Prozent der zu berücksichtigenden Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, bei chronisch Kranken 1 Prozent. Für Kinder und Jugendliche fallen bei der Verordnung von Heilmitteln bis zum 18. Lebensjahr keine Zuzahlungen an.“

Die Antwort der Bundesregierung mag auf den ersten Blick ein wenig allgemein gehalten sein, lässt aber bei genauerer Betrachtung erstaunliche Rückschlüsse zu:

1. Die andauernde Ungleichbehandlung von Patientinnen und Patient mit Bedarf für eine Heilmittelversorgung

In der gemeinsamen Stellungnahme von BED und LOGO Deutschland  haben wir bereits deutlich auf die Ungleichbehandlung von Patient*innen hingewiesen, die eine ambulante Heilmittelversorgung benötigen, sowie die Entwicklung, die zu den gravierend unterschiedlichen Zuzahlungshöhen geführt hat, im Detail transparent gemacht (BED, 2023, S.1).

Folgerichtig wurde der Aspekt der Ungleichbehandlung in der Fragestellung in den Vordergrund gestellt.

Überraschend ist, dass die Bundesregierung genau diese Ungleichbehandlung in ihrer Antwort überhaupt nicht in Abrede stellt, sondern im Gegenteil sogar begründet. Eine differenzierte Ausgestaltung der Zuzahlungsregelungen sei mit dem Ziel, die Eigenverantwortung der Versicherten und das Bewusstsein für die Kosten der medizinischen Versorgung zu stärken, gerechtfertigt.

Die Eigenverantwortung der Versicherten ist im SGB V zusammengefasst wie folgt definiert: Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden (§ 1 Satz 3 SGB V).

Demnach stellt die aktive Mitwirkung an der Therapie die geforderte Eigenverantwortung dar. Wieso diese Mitwirkung finanziell deutlich unattraktiver sein soll als beispielsweise die Mitwirkung an einer Arzneimitteltherapie, bleibt offen.

Sind Versicherte, die eine Heilmitteltherapie benötigen, ernsthaft weniger eigenverantwortlich im Sinne einer gesunden Lebensführung als Versicherte, die eine Arzneimitteltherapie in Anspruch nehmen?

Natürlich nicht! Die Duldung von Ungleichbehandlungen durch die Bundesregierung hat selbstverständlich keinen Effekt auf das Ziel der Eigenverantwortung.

Als weiteres Ziel der hohen Kostenbeteiligung wird die Stärkung des Bewusstseins für die Kosten der medizinischen Versorgung angeführt. Der Verweis auf das Kostenbewusstsein ergibt immer nur dann Sinn, wenn mit einer relativ hohen Selbstbeteiligung die Inanspruchnahme einer teuren Versorgungsform vermieden werden soll, für die es eine kostengünstigere Variante gibt oder wenn die Inanspruchnahme einer eher unnötigen Leistung unattraktiv werden soll. Folglich ordnet die Bundesregierung die Heilmitteltherapie genau solchen Versorgungsformen zu.

Doch tatsächlich sorgen ambulante Heilmittelleistungen als kostengünstige und nebenwirkungsarme Therapieformen für Einspareffekte in der Gesundheitsversorgung. Die Bundesregierung selbst führte zu der Bedeutung der Heilmittelversorgung bereits aus:

 „Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, Logopädinnen und Logopäden und Podologinnen und Podologen leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Angesichts einer älter werdenden Gesellschaft und der damit verbundenen Veränderungen bei den Krankheitsbildern wird die Versorgung mit Heilmitteln immer wichtiger. Der Bedeutungsgewinn der Heilmittelversorgung zeigt sich auch in den über die Jahre gestiegenen Verordnungszahlen.“ (Bundesregierung, 2019, S.2)

Deutlich erkennbar stimmt die Zielsetzung „Stärkung des Bewusstseins für die Kosten der medizinischen Versorgung“ auch in diesem Fall nicht mit der Duldung einer Ungleichbehandlung überein und widerspricht sogar eklatant der eigenen Einschätzung der Bedeutung der Heilmittelversorgung durch die Bundesregierung.

2. Das Solidaritätsprinzip

Als Einleitung begründet die Bundesregierung das generelle Vorhandensein von Zuzahlungsregelungen im deutschen Gesundheitswesen und leitet vom Begriff der Solidargemeinschaft eine Pflicht zu Eigenleistungen ab. Dies war zwar gar nicht Teil der Fragestellung, aber wir nutzen die Gelegenheit doch zu einer Einordnung des Aspektes.

Grundlage des Solidarprinzips ist einerseits die gemeinsame Finanzierung von Gesundheitsleistungen, wodurch man bei der Inanspruchnahme von Leistungen unbestritten auch eine Pflicht ableiten kann, diese Inanspruchnahme sparsam und nur in dem Umfang zu gestalten, dass die Ziele der Gesundung erreicht werden.

Andererseits ist zu beachten, dass Zuzahlungen dem Versicherungsprinzip widersprechen, das darauf beruht, dass Menschen im Voraus für einen möglicherweise eintretenden Schadensfall bezahlen, um sich gegen finanzielle Folgen, die aus diesem Schadensfall resultieren könnten, abzusichern.

Zuzahlungen werden hingegen grundsätzlich erst mit dem Eintritt eines Gesundheitsproblems fällig.  Diese Finanzierungsform beschränkt sich folglich auf Kranke und verschont Gesunde. So wirken jegliche Formen von Selbstbeteiligungen von Patienten einem Grundelement des Solidarprinzips entgegen, nach dem die Gesunden für die medizinische Behandlung der Kranken aufkommen. Eine sozial gerechte Gesundheitsfinanzierung hat den Anspruch, dass die Beitragserhebung unabhängig vom Krankheitseintritt beziehungsweise der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen erfolgt (Holst, Laaser, 2003, S.3).

3. Belastungsgrenzen

Im dritten Teil der Antwort stellt die Bundesregierung auf die allgemeinen Belastungsgrenzen in Höhe von 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen oder 1 % bei chronisch Kranken ab. Dies geschieht erneut ohne Sachzusammenhang zur Fragestellung, denn diese Regelung gilt ausnahmslos für alle Leistungsbereiche und nicht explizit für die Heilmittelversorgung.

Warum Patient*innen mit Heilmittelbedarf schneller und vielleicht sogar regelhaft die Belastungsgrenzen erreichen sollen als andere Patient*innen, zeigt eher das Vorhandensein der Ungleichbehandlung, als dass sich diese durch die Belastungsgrenze erklären ließe.

Zudem ist es kein Geheimnis, dass gerade ältere Menschen und Menschen mit geringem Einkommen selbst von „geringfügigen“ Selbstbeteiligungen stark betroffen sind und in der Folge auf notwendige Behandlungen verzichten. So entstehen teilweise erheblichen Mehrausgaben, wenn die Therapie zu spät einsetzt (Holst, Laaser, 2003, S.2).

4. Fazit

Die Antwort der Bundesregierung bestreitet die Ungleichbehandlung der Patientinnen und Patienten mit Bedarf für eine ambulante Heilmittelversorgung nicht, sondern erklärt sie mit sachlich nicht verfangenden Argumenten für angemessen.

Die ehrliche Antwort wäre gewesen, dass man das Problem der Ungleichbehandlung tatsächlich erkannt hat, die finanzielle Beteiligung der Patient*innen aber in einer so relevanten Größe stattfindet, dass man diese Subventionierung der Gesundheitsausgaben derzeit nicht anders finanzieren kann.

Der Deutsche Ethikrat hat zu dieser Art der Problematik treffend ausgeführt:

„Zwischen den gesamtgesellschaftlichen Interessen und denjenigen des Einzelnen besteht ein Spannungsverhältnis. Das Prinzip der Menschenwürde und die Grundrechte erfordern einen durch Rechte gesicherten Zugang jedes Bürgers zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung. Diese Rechte dürfen nicht hinter etwaige Erwägungen zur Steigerung des kollektiven Nutzens zurückgestellt werden.“ (Deutscher Ethikrat, 2011, S. 95)

5. Wie geht es nun weiter?

Die aus der Ungleichbehandlung der Patient*innen mit Heilmittelbedarf resultierenden Probleme werden BED und LOGO Deutschland kontinuierlich auf politischem Weg thematisieren und nun zusätzlich rechtliche Schritte prüfen.

Download

Die Stellungnahme inklusive Quellenangaben finden Sie hier als Download.

Auf unserer Webseite arbeiten wir teilweise sprachlich dem Duden entsprechend mit dem generischen Maskulinum. Dies bedeutet, dass die allgemein bekannte verallgemeinernde, grammatikalisch männliche Bezeichnung gewählt wird. Hiermit sind in jedem Fall Personen aller Geschlechter gleichermaßen gemeint.
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