Veröffentlicht am 09.07.2021
Bei einer umschriebenen Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik ist eine sensomotorisch-perzeptive Therapie einer rein motorisch-funktionellen Therapie im Sinne einer effektiven und damit wirtschaftlichen Patientenversorgung vorzuziehen.
In der
Heilmittelrichtlinie bei den Maßnahmen der Ergotherapie werden in § 36 die motorisch-funktionelle und in § 37 die sensomotorisch-perzeptive Behandlung klar definiert. So liegt bei der motorisch-funktionellen Behandlung der Schwerpunkt u.a. auf der Motorik und bei der sensomotorisch-perzeptiven Behandlung stehen v.a. die Sinnes- und Körperwahrnehmungen im Vordergrund. Die sensomotorisch-perzeptive Behandlung nimmt Bezug auf den „Aufbau oder Stabilisierung aktiver Bewegungsfunktionen, z.B. der Grob-,
Fein- und Willkürmotorik, (…)“. Somit ist bei der sensomotorisch-perzeptiven Behandlung im Gegensatz zur motorisch-funktionellen Behandlung die Feinmotorik ausdrücklich erwähnt.
Zudem gehört bei den therapeutischen Zielen auf Aktivitäts- und Teilhabeebene bei einer sensomotorisch-perzeptiven Behandlung die Verbesserung des „(…)feinmotorische(n) Hand- und Armgebrauch(s) (…)“ dazu. Somit weist die Heilmittelrichtlinie selbst darauf hin, dass bei einer „umschriebenen Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik“ die sensomotorisch-perzeptive Behandlung das Mittel der Wahl ist.
Im Buch „Ergotherapie im Arbeitsfeld Pädiatrie“ von Becker (erschienen bei Thieme, 2. Auflage) werden u.a. folgende Fertigkeiten genannt, die als Voraussetzung für den komplexen Prozess der Graphomotorik benötigt werden:
• Taktilo-propriozeptive Wahrnehmung
• Schulter-Arm-Funktion
• Auge-Hand-Koordination
• Hand-Hand-Koordination
• Identifikation der Finger
• Präzisionsgriffe – Zug- und Stoßbewegungen
Diese Fertigkeiten beruhen auf Körper- und Sinneswahrnehmungen und werden daher gemäß der Maßnahmen der Ergotherapie aus dem Heilmittelkatalog mit einer sensomotorisch-perzeptiven Behandlung verbessert.
Schaut man auf die
Leitlinie S3 für Umschriebene Entwicklungsstörungen motorischer Funktionen (UEMF) steht fest, dass für niedergelassene Therapeuten sowohl die motorisch-funktionelle Behandlung als auch die sensomotorisch-perzeptive Behandlung als vorrangiges Heilmittel anzusehen sind (siehe S. 107/108). Verschiedene Passagen in der Leitlinie zeigen jedoch, dass es eine hohe Korrelation zwischen motorischen und perzeptiven Funktionen gibt, was die Verordnung einer sensomotorisch-perzeptiven anstatt einer motorisch-funktionellen Behandlung vor allem bei Störungen der Fein- und Graphomotorik effektiver erscheinen lässt:
„(…) Im Allgemeinen sehen wir Anzeichen dafür, dass Defizite der motorischen Steuerung bei UEMF von der Art der auszuführenden Aufgabe abhängen. Defizite zeigen sich besonders bei Parallelaufgaben, bei Aufgaben, die verstärkt Präzision erfordern (sowohl räumlich als auch zeitlich), bei Aufgaben, die komplexere Planung benötigen, oder die Anpassung bzw. Veränderungen im perzeptiv-motorischen Bereich erfordern, um Haltungsstabilität beizubehalten. Diesbezüglich können Probleme der exekutiven Funktionen (z. B. Reaktionshemmung) die motorische Steuerung behindern und die Möglichkeit, Fertigkeiten zu automatisieren ohne längere Übungszeiträume einschränken. Im Allgemeinen sehen wir bei schwacher prädiktiver motorischer Steuerung und reduzierter Automatisierung gehäuft Feedback-Steuerung motorischer Aktionen sowie kompensatorische Strategien mit dem Ziel, bei der Ausführung komplexer oder schwieriger Fertigkeiten „Sicherheitsspielräume" zu haben. Eine Hypothese ist, dass Verzögerungen in der Entwicklung sensomotorischer Netzwerke, die das interne Modelling und das Beobachtungslernen (über MNS) unterstützen, es erforderlich machen, dass das Kind mehr auf externes Feedback (z. B. visuelle Steuerung) vertraut.(…)“ (Seite 36 der Leitlinie S3 UEMF).