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Die Reform der Berufsgesetze in den Therapieberufen – Aktueller Sach- und Diskussionsstand

Veröffentlicht am 29.08.2024

© Bundeszentrale für politische Bildung

Manche Dinge erledigen sich von selbst, wenn man nur lange genug wartet. Gilt dies auch für die Reform der Berufsgesetze in der Ergotherapie, Physiotherapie oder Logopädie?

Im Detail betrachtet erkennt man hier eher, dass die Probleme mit der Zeit größer werden. Die jetzt schon seit Jahrzehnten geführte Diskussion wurde häufig nicht durch die Therapieberufe selbst – also von innen heraus – geführt, sondern im Kontext der Einbindung in die Gesundheitsversorgung eher von außen geprägt. Eine somit selbstbestimmte Professionsentwicklung wurde im Grunde permanent durch äußere Faktoren gehemmt.

Einige dieser Faktoren wie die Arztzentriertheit der Gesundheitsversorgung, das Heilpraktikerwesen und auch die Fragen der Finanzierung im Kontext des Föderalismus und der Gesetzlichen Krankenkassen könnte man als typisch deutsch identifizieren und als Argument dafür anwenden, warum Deutschland international in der Professionalisierung der Gesundheitsberufe die Rolle eines Entwicklungslandes einnimmt.

Wo stehen wir aktuell?

Unter dem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn nahm die Modernisierung der Berufsgesetze erstmals Fahrt auf. Zum Ende der letzten Legislaturperiode wurde dann ein Konsultationsverfahren zur Vorbereitung eines Referentenentwurfes zur Reform der Physiotherapie eingeleitet. Im Dezember 2023 wurde ein interner Referentenentwurf fertiggestellt und dann im Januar 2024 zur Abstimmung an die Ressorts – also die beteiligten Ministerien – weitergeleitet.

© Bundesministerium für Gesundheit

Im Anschluss an die Ressortabstimmung wird dann nochmals eine Abstimmungsrunde mit den Ländern und den Verbänden stattfinden. Doch seit Januar ist es sehr still geworden um den Gesetzgebungsprozess. Dem Vernehmen nach spielen hierbei finanzielle Aspekte eine sehr große Rolle. Nach Aussage der Bundesregierung war die ursprüngliche Planung, dass 2025 das Gesetz zur Reform der Physiotherapieausbildung in Kraft treten soll, 2026 die Reform der Logopädie und dann 2027 die Reform der Ergotherapie nachfolgen.

Derzeit gehen wir nicht davon aus, dass die Ampel-Koalition die Kraft finden wird, das Gesetz in der Physiotherapie noch in der aktuellen Legislatur umzusetzen. Dadurch könnte sich die Reform des Berufsgesetzes in der Ergotherapie auch weiter verschieben.

Worum geht es inhaltlich?

Zunächst ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Berufe jeweils separat betrachtet werden. Es bedeutet daher nicht, dass Änderungen, die nun zunächst in der Physiotherapie umgesetzt werden sollen, automatisch auch Anwendung in der Ergotherapie finden werden.

Bisher geplant sind für die Physiotherapie einige Punkte, die auf allgemeine Zustimmung stoßen, wie die Etablierung einer bundesweiten Schulgeldfreiheit, die Einführung einer Ausbildungsvergütung, die Ausrichtung an einer kompetenzorientierten Ausbildung und Qualitätsverbesserungen. Kontroverser diskutiert werden wohl die Punkte der Teilakademisierung und der damit verbundenen Übertragung der Kompetenz zur eigenverantwortlichen Durchführung heilkundlicher Maßnahmen – Stichwort Direktzugang – an hochschulisch ausgebildete Physiotherapeuten.

Auswirkungen auf die Reform des Berufsgesetzes in der Ergotherapie

Auch wenn das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in seiner Aussage, dass alle Berufe separat betrachtet werden, völlig klar und auch überzeugend ist, so zeigt unsere Erfahrung doch, dass die Ergotherapie immer an Entscheidungen der „großen“ Physiotherapie hängt und dass Fehleinschätzungen, die dort unkommentiert bleiben, in der Ergotherapie nicht folgenlos bleiben.

Deshalb werden wir den Entwicklungsprozess in der Physiotherapie weiter begleiten.

Zwei Punkte sind uns dabei besonders wichtig:

Zeitgleiche Einführung der bundesweiten Schulgeldfreiheit und der Ausbildungsvergütung

Die Therapieberufe stehen erkennbar im Wettbewerb um die gleiche Population von Ausbildungsinteressierten. Junge Menschen, die sich für eine Ausbildung in einem Therapieberuf entscheiden, müssen in diesen Berufen auch gleichwertige Bedingungen vorfinden, wenn nicht ein Beruf zulasten eines anderen bevorzugt werden soll.

Die Schulgeldfreiheit basiert derzeit auf dem Verständnis und dem Goodwill der Länder, die jedoch nicht in Stein gemeißelt sind. Haushaltssicherungsmaßnahmen der Länder stehen in der Regel unter der Bedingung, dass sämtliche Vorhaben, die nicht einer gesetzlichen Regelung unterliegen, eingefroren werden. Dies könnte dazu führen, dass die Schulgeldfreiheit in einzelnen Ländern für die Physiotherapie Bestand hätte, weil es hier schon die bundesgesetzliche Regelung gäbe, während sie in den anderen Therapieberufen theoretisch wegfallen könnte. Dies könnte ebenso wie eine uneinheitliche Regelung zur Ausbildungsvergütung verfassungsrechtliche Fragen im Sinne einer Ungleichbehandlung nach sich ziehen. Schon 2013 wurde in einer Denkschrift der Robert-Bosch-Stiftung auf den Punkt der möglichen Ungleichbehandlung hingewiesen:

Deswegen wäre dem Gesetzgeber auch ohne Konstruktion einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung anzuraten, für alle dual ausgebildeten Heilberufe Gleichbehandlung bei der Zahlung einer Ausbildungsvergütung zu schaffen. Dies müsste auch für Heilberufe gelten, die landesrechtlich geregelt sind.“ (Robert-Bosch-Stiftung, 2013, S. 336)

Wir gehen daher davon aus, dass die Schulgeldfreiheit und die Ausbildungsvergütung in den Berufsgesetzen einheitlich geregelt werden. Im Gesetz zur Reform der Physiotherapie wird demnach vermutlich ein Zeitpunkt frühesten ab 2027 (mit dem geplanten in Kraft treten der Regelung für die Ergotherapie) möglicherweise aber auch erst ab 2029 für die Ausbildungsvergütung und Schulgeldfreiheit benannt, wenn man die Berufe der Podologie und Diätassistenz mitdenkt. Dies hätte zudem den Vorteil, die derzeit schwierige Haushaltsplanung um diese Punkte zu entlasten.

Kompetenzunterschiede zwischen hochschulischer und fachschulischer Ausbildung

Ganz unabhängig von der bisher teilweise zu vordergründigen Debatte um eine Teil- oder Vollakademisierung muss zwangsläufig über eine Kompetenzabstufung der beiden Ausbildungswege nachgedacht werden. Unabhängig davon deshalb, weil selbst das Ziel einer Vollakademisierung im Prozess dahin immer einer Teilakademiserung gleichkommt.

Derzeit wird diskutiert, die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Physiotherapie zukünftig hochschulisch ausgebildeten Physiotherapeut*innen – und nur diesen – zu ermöglichen.

Das BMG wählt dabei aus unserer Perspektive einen völlig falschen Ansatz.

Wir halten Kompetenzen, die eine freie und selbstständige Berufsausübung ermöglichen, aus berufsrechtlicher und versorgungsökonomischer Sicht zwingend für alle Ausbildungswege für erforderlich. Diese sollten auf keinen Fall nur für einen Teil der Physiotherapeut*innen vermittelt werden. Ohne Not würde man so auf wichtige Ressourcen für eine moderne Gesundheitsversorgung verzichten, die Versorgungsqualität und -sicherheit aufs Spiel setzen.

Zusätzlich würde man sich angreifbar machen, falls die Frage der freien Berufsausübung rechtlich zur Klärung gebracht würde, denn dieses Problem würde dann für die fachschulische Ausbildung weiter bestehen. Aktuell wird die Beschränkung der Therapeutinnen und Therapeuten in ihrer grundrechtlich zugesicherten freien Berufsausübung nach gängiger Rechtsprechung mit dem Argument einer möglichen Gesundheitsgefährdung der Patient*innen noch toleriert. Daraus resultiert noch immer die Erfordernis der – so hat der Einzelsachverständige Prof. Dr. Igl es in der Anhörung zum HHVG treffend benannt (Bundestag, 2016, Seite 36) - berufsrechtlichen Krücke des sektoralen Heilpraktikers.

Der Anspruch einer Modernisierung des Berufsrechts muss doch folgerichtig sein, diese Diskrepanz ganz generell für jeden Ausbildungsweg zu beheben und eine freie und eigenständige Berufsausübung zu ermöglichen.

Alternativen für eine Kompetenzabstufung

Die Qualifizierungswege dürfen aufgrund des Fachkräftemangels keinesfalls in Konkurrenz zu einander stehen. Somit muss die hochschulische Ausbildung Kompetenzen vermitteln, die nicht zulasten der Fachschulausbildung gehen, sondern tatsächlich „on top“ aufsetzen.

Das SGB V stellt insgesamt auf eine wissenschaftsbasierte Leistungserbringung ab. Dies wurde bei der Überarbeitung des Pflegeberufegesetzes bereits mitgedacht. Hier wird z. B. als Ausbildungsziel für die hochschulische Pflegeausbildung in § 37 Abs. 3 Nr. 1 PflBG auf wissenschaftsbasierte Entscheidungen verwiesen.

Für die Therapieberufe halten wir eine ähnliche Abstufung für sinnvoll. Entsprechend könnten Wissenschaftsorientierung, Erschließung von Forschungsfeldern, Befähigung zur Lehre, Wissenstransfer, Weiterentwicklung der Profession und kritisch-reflektiertes Handeln Kompetenzabstufungen darstellen, die dann auch zu wirklichen Tätigkeitserweiterungen führen.

Diese erweiterten Tätigkeiten könnten beispielsweise die Verordnung von Hilfsmitteln oder Arzneimitteln in einem beschränkten Umfang, die Ausübung einer Lehr- oder Forschungstätigkeit, Leitungsfunktionen (z. B. Gesundheitskioske), gutachterliche Tätigkeiten oder Überweisungen an andere Fachdisziplinen sein.

So läge der Schwerpunkt der Reform nicht auf der Einschränkung der beruflichen Tätigkeit der fachschulischen Auszubildenden, sondern auf dem Mehrwert der Hochschulausbildung, die dann auch entsprechende Anreize zu einer Weiterqualifizierung bieten würde.

Ausblick

Moderne Berufsgesetze müssen den Anspruch erfüllen, die Grundlage für eine moderne und effiziente Gesundheitsversorgung zu bilden und gleichzeitig Berufe so attraktiv zu gestalten, dass sie im Wettbewerb um Ausbildungsinteressierte bestehen können.

Grundlegende Kompetenzen, die für eine effiziente und flächendeckende Versorgung benötigt werden, dürfen nicht nur für einen Teil der Berufe vermittelt werden. Dies würde der Versorgungsrealität unter den besonderen Herausforderungen des demografischen Wandels nicht gerecht.

Diese Gedanken haben wir schon in den Gesetzgebungsprozess in der Physiotherapie eingebracht und werden diese insbesondere dann in der Diskussion um die Reform des Berufsgesetzes in der Ergotherapie vertiefen.

Auf unserer Webseite arbeiten wir teilweise sprachlich dem Duden entsprechend mit dem generischen Maskulinum. Dies bedeutet, dass die allgemein bekannte verallgemeinernde, grammatikalisch männliche Bezeichnung gewählt wird. Hiermit sind in jedem Fall Personen aller Geschlechter gleichermaßen gemeint.
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