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"Ehrlichkeit mit den Patienten"

Veröffentlicht am 12.12.2005

Der Gesundheitsforscher Norbert Schmacke von der Universität Bremen setzt auf evidenzbasierte Medizin. Therapien, deren Wirksamkeit nicht in kontrollierten Studien nachgewiesen wurden, sollte man nicht trauen, sagt der Medizinprofessor

INTERVIEW KATHRIN BURGER

taz: Sie sind ein Verfechter der "evidenzbasierten Medizin" (ebM). Was genau ist das?

Norbert Schmacke: Man prüft, ob es für ein Verfahren ausreichende Belege gibt. Wenn eine neue Therapie nicht in kontrollierten Studien getestet wurde, wo man sie mit dem Standardverfahren oder einem Placebo vergleicht, dann sollte man dem Verfahren nicht trauen.

Warum sträuben sich so viele Ärzte gegen ebM?

Es wird immer gesagt, das seien ja nur statistische Aussagen, für den Einzelfall gelte das nicht. Damit verbunden ist die Angst, ebM führe zu einer seelenlos verengten Therapie. Das ist völliger Unsinn. Denn ebM liefert Entscheidungshilfen, an denen sich ein Arzt orientieren sollte. Trotzdem müssen Behandlungspläne immer auch individuell ausgerichtet sein.

Und wenn die Literatur keine befriedigende Antwort auf eine Fragestellung liefert?

Dann heißt das natürlich nicht: Jetzt kann nicht behandelt werden. Wichtig ist Ehrlichkeit mit den Patienten. Und ich bin überzeugt, dass der Patient nicht für jedes Problem eine Lösung erwartet, sondern es wertschätzt, wenn er die Grenzen kennt.

In welchen Bereichen konnte die medizinische Versorgung durch kontrollierte Studien verbessert werden?

Ein prominentes Beispiel ist die Behandlung des Altersdiabetes. Besteht gleichzeitig eine Hypertonie, ist die Senkung des Blutdrucks extrem wichtig, um Folgeerkrankungen zu verhindern. Dies ist heute in den Leitlinien verankert.

Wo bestehen Lücken?

Gute Arzneimittelstudien fehlen, weil häufig keine sinnvolle Kontrollgruppe gewählt wird. Zudem gibt es wenig Literatur zum Vergleich zwischen Arzneimitteltherapie und Nichtarzneimitteltherapie. Es wäre zum Beispiel überfällig zu prüfen: Was kann man zur Behandlung von Depression tatsächlich von Psychotherapie und was von Arzneimitteltherapie erwarten?

Der psychosoziale Bereich wird insgesamt kaum beforscht.

Richtig. Man sucht gerne nach einem neuen Arzneimittel, statt zu gucken, welche Therapiekonzepte gibt es und was taugen sie. Man sollte sich fragen: Gibt es eine bewährte Behandlungsstrategie? Wenig erforscht ist zudem, was Bewegung, Krankengymnastik, Ergotherapie oder Logopädie leisten können. Hinter ihnen steht keine große Lobby.

Sie relativieren in Ihrem Buch die Idee, dass vorbeugen immer besser ist als heilen, zum Beispiel im Fall der Hormontherapie.

Das sollte ein Lehrstück sein. Das Versprechen, dass gesunde Frauen durch langjährige Einnahme der Präparate weniger Alzheimer oder Herzinfarkte erleiden, war durch keinerlei Studien belegt. Es ist richtig, dass der Östrogenspiegel ab einem bestimmten Alter der Frau abnimmt. Der Umkehrschluss, Östrogen zu ersetzen, um einen natürlichen Zustand wiederherzustellen, ist zwar plausibel, aber falsch, wie wir gesehen haben.

Wie sieht der Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen aus?

Bei Vorsorgeuntersuchungen ist immer die Frage: Gibt es den Nachweis, dass wir das Krankheitsgeschehen positiv beeinflussen, gibt es eine gesicherte Therapie? Beim flächendeckend eingesetzten PSA-Test auf Prostatakarzinom gibt es zum Beispiel keinen Nachweis, dass gesunde Männer davon profitieren. Bei der Mammografie gibt es einen kleinen Nutzen. Der wird aber, wenn man Frauen nicht richtig informiert, überschätzt.

Information ist also das A und O?

Ja, passende Information mit absoluten Zahlen, nicht mit Prozentzahlen. Und dass Frauen wissen im Falle der Mammografie, sie müssen sich häufig untersuchen lassen. Und es gibt relativ viel falsch positive Befunde, die zu eingreifender Diagnostik führen. Mit diesem Wissen kann eine Frau sich dann pro oder contra entscheiden. Der Arzt sollte dahingehend aufklären, und man muss in Sorge sein, dass das nicht immer geschieht.

Wie stehen Sie zu alternativen Verfahren?

Der Name Komplementärmedizin sagt es eigentlich: Es ist eine Ergänzung. Es wäre unfair, Krebspatienten zu versprechen: Wenn du von der Schulmedizin zur Anthroposophie wechselst, hast du eine deutliche Chance, dein Leben zu verlängern. Das erzeugt auch wieder Erwartungen. Genauso wie die klassische Onkologie ehrlicher sein und sagen müsste: Es gibt Tumorarten, die kann man heilen, bei der Heilung anderer Krebsarten tritt man auf der Stelle. Man muss das mit dem Patienten besprechen, und oft ist auch nicht Handeln gefragt, sondern Warten.

Was zeichnet in Ihren Augen einen guten Arzt aus?

Psychosoziale Kompetenz ist sicher ganz wichtig. Und ich würde gleichzeitig fordern, dass sich Ärzte in ihrem Fachgebiet gut informieren und Studien kritisch lesen können.

taz Nr. 7841 vom 9.12.2005, Seite 18, 159 Zeilen (Interview), KATHRIN BURGER
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