Veröffentlicht am 08.01.2015
Zum Hintergrund:Die gesellschaftliche Bedeutung der Ganztagsschule ist in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen, nicht zuletzt aufgrund der Ergebnisse der PISA-Studie, die bessere schulische Lernbedingungen anmahnen, die die Politik durch die Ganztagsschulen verwirklicht sieht. Zudem ist die steigende Bedeutung auch dem erhöhten Betreuungsbedarf durch die notwendige Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschuldet.
Das Bundesland Hamburg hatte sich mit der damaligen Verabschiedung des „Rahmenkonzepts für Ganztagsschulen“ am 21.06.2004 das Ziel gesetzt, alle Grund- und weiterführenden Schulen sukzessive in Ganztagsschulen umzuwandeln.
Seit dem Schuljahr 2013/14 sind daher 97% der Hamburger Grundschulen mittlerweile Ganztagsschulen. Die Ganztagsschulen bieten eine kostenlose Bildungs- und Betreuungszeit von täglich 8 – 16 Uhr, eine zusätzliche Betreuung ist in den Morgenstunden und von 16 bis 18 Uhr, sowie in den Schulferien möglich. Die Kinder erhalten ein Mittagessen in der Schule. Die Kosten, sowohl für das Essen, als auch für die zusätzlichen Betreuungszeiten, sind einkommensabhängig gestaffelt. Das Angebot ist auf Kinder und Jugendliche bis zum 14. Lebensjahr (entsprechend der Jahrgangsstufe 8) ausgerichtet.
Die Ganztagsschulen arbeiten nach verschiedenen Modellen, die hier eingesehen werden können:
http://www.hamburg.de/ganztagsformen/Problematik bei notwendiger therapeutischer Intervention:Kinder, denen vom Arzt Ergotherapie verordnet wird, können durch die verpflichtende Ganztagsbeschulung erst frühestens ab 17 Uhr Therapien in den Praxen in Anspruch nehmen. Je nach Berufstätigkeit der Eltern ist gegebenenfalls auch ein noch späterer Therapiebeginn notwendig.
Für die niedergelassenen Therapeuten
(Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten) bedeutet dies eine Komprimierung der Therapien in den Abendstunden.
Damit kommt es zu langen Wartezeiten, da die räumlichen und personellen Kapazitäten auf eine Normalverteilung und nicht auf punktuelle Maximalnutzung ausgerichtet sind. Um die Situation zu entschärfen bieten einige Praxen den Samstag als Ausweichmöglichkeit an. Dennoch bleiben einige therapiebedürftige Schülerinnen und Schüler unversorgt.
Fraglich ist in dem Zusammenhang auch, inwiefern die therapeutische Versorgung im Anschluss an die langen Schul-& Betreuungszeiten dieselbe therapeutische Wirkung bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen erzielen kann.
Bisherige Entwicklung:Aufgrund der oben ausgeführten Situationsentwicklung ergriff der deutsche Bundesverband für Logopäden (dbl) vor über einem Jahr die Initiative und lud die übrigen Berufsverbände der Heilmittelerbringer und die Vertreter der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) zu der Arbeitsgruppe „Therapie und Schule“.
Viele Schulen hatten sich ihrerseits mit der Bitte, Therapien in den Schulalltag integrieren zu dürfen, an die BSB gewandt.
Die BSB hat als Ergebnis dieser Arbeitsgruppe im Januar Vorschläge zur Umsetzung von Therapie und Schule veröffentlicht. Sie beruft sich dabei auf die inklusive Bildung, die im §12 des Hamburger Schulgesetzes verankert ist.
Die Vorschläge in Kürze:
- Die Schule stellt einen Therapieraum zur Verfügung und sorgt für die entsprechende Ausstattung sowie die Koordination der Therapien.
(Ein Multifunktionsraum mit Mehrfachnutzung durch die verschiedenen Therapierichtungen ist denkbar.)
- Die Schule schafft ein Zeitfenster für die Durchführung der Therapien oder stellt die betroffenen Schülerinnen und Schüler für die Zeit der Therapie frei. Die Therapeuten erhalten hierzu Einsicht in die Stundenpläne. (Einige Schulen stellen bereits ihre Stundenpläne auf ihrer Homepage zur Verfügung.)
- Die Auswahl der Therapeuten obliegt den Eltern, um Wettbewerbsvorteile auszuschließen.
- Die Schule trifft mit den jeweiligen Praxen eine Kooperationsvereinbarung, die die Rahmenbedingungen für die Raumnutzung regelt.
Die Grundlage der therapeutischen Behandlung ist wie üblich die Heilmittelrichtlinie in ihrer aktuellen Fassung.
Diese sieht jedoch keine Therapien in schulischen Einrichtungen vor, außer es liegt eine ärztlichen Begründung vor, die eine besondere Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/strukturellen Schädigungen sowie eine Beeinträchtigungen der Aktivitäten ergibt und die Einrichtung auf die Förderung dieses Personenkreises ausgerichtet ist.
Durch die Vorgabe der grundsätzlichen Möglichkeit der Inklusion ist die Voraussetzung der Einrichtung (Schule) zumeist gegeben. Bei den behandlungsbedürftigen Kindern handelt es sich des häufigeren allerdings um solche, bei denen keine besondere Schwere oder Langfristigkeit vorliegt.
Die zuständigen Landesverbände, allen voran die AOK Rheinland/Hamburg und der vdek verweigern bislang die dazu notwendige Kooperation. Sie propagieren darüber hinaus, dass Krankenkassen und Hamburger Schulbehörde sich zunächst
ohne die Berufsverbände auf eine Lösung einigen sollen. Das wird von allen Berufsverbänden abgelehnt.
Die Kassen vertreten ferner die Rechtsauffassung, dass der § 11 der Heilmittelrichtlinie (HMR) ausschließlich für behinderte Kinder gelte.
Sie argumentieren ferner mit einer vermeintlichen Gefährdung der Qualität, wenn die Erbringung von Therapien in Schulen generell genehmigt würde, da in den Schulen keine geeigneten Räume zur Verfügung stünden. Außerdem wären die Eltern nicht bei der Therapie anwesend, was eine mangelnde Einbindung des Umfeldes zur Folge hätte.
Darüber hinaus vermuten die Kassenvertreter einen wachsenden Therapiebedarf, aufgrund wegfallender Förderung im Elternhaus.
Sie befürchten den Missbrauch der Therapieleistungen durch mögliche „Mitnahmeeffekte“.
Die Vertreter von AOK und vdek befürworten stattdessen, dass die Schülerinnen und Schüler in Freieinheiten innerhalb des Schultags die Praxen aufsuchen sollen.
BED Standpunkt:Alle diese Argumente lassen sich leicht entkräften:
Den Tragenden Gründen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Neufassung der Heilmittelrichtlinie bezogen auf den § 11 und demnach dem Ort der Leistungserbringung ist zu entnehmen, dass die Heilmittelerbringung in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche nachhaltig erleichtert werden soll. Diese Regelung soll
insbesondere, aber eben nicht ausschließlich für Kinder mit Behinderungen gelten.
Siehe Seite 9:
Tragende Gründe zum Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Neufassung der Heilmittel-RichtlinieEs ist darüber hinaus nicht erkennbar, worauf die Vermutung der Landesverbände der Krankenkassen basiert, dass Umfeldarbeit im Rahmen von Therapien innerhalb der Schule nicht möglich sein sollte. Der regelmäßige Austausch zwischen Eltern, Therapeuten und Lehrkräften kann gar im Rahmen von Förderplangesprächen institutionalisiert werden. Umfeldarbeit muss aus therapeutischen und moralischen Gründen sowieso ohne Beisein des betroffenen Kindes seine Umsetzung finden.
Die Krankenkassen nehmen durch ihre Haltung billigend in Kauf, dass Kinder mangels Elternleistung nicht zur Therapie gebracht werden. Ein Teil der betroffenen Schülerinnen und Schüler kommt aus sozial benachteiligten Familien. Diese sehen sich oft nicht in der Lage, ihr Kind zur Therapie zu bringen. Eltern der höheren Schichten ist es indes aufgrund der Arbeitszeiten nicht möglich ihre Kinder zur Therapie zu bringen.
Einen zunehmenden Therapiebedarf mit dem angeblichen Wegfall einer natürlichen Förderung im Elternhaus zu begründen, macht den Bock zum Gärtner, schließlich ist die Ganztagesbetreuung, und damit die Förderung über eine Einrichtung aus obig genannten Gründen, politisch gewollt und wird auch im Kindergarten mittlerweile konsequent umgesetzt.
Kritik an der Ganztagesbetreuung sollten die Krankenkassen an den Stellen üben, die sich für diese Entwicklung verantwortlich zeigen und eine derartige Diskussion nicht auf dem Rücken der Heilmittelerbringer austragen.
Zudem wäre kassenseitig der Beweis zu erbringen, dass bislang eine ausreichende Förderung der Kinder in den sozial schwachen Familien statt findet, was aus politischer Sicht gerade nicht der Fall ist und somit die Ganztagesbetreuung gleichwertige Bildungschancen für alle Kinder gleich welcher Schicht bietet.
Der Verdacht des Missbrauches von Therapieleistungen lässt sich leicht entkräften, da Ärzte nur eine Verordnung ausstellen, wenn diese medizinisch notwendig und wirtschaftlich sinnvoll ist. Der unterstellte Vorwurf, sie würden Verordnungen aus Gefälligkeit, oder aus sozialen statt aus medizinischen Gründen ausstellen, darf so nicht im Raum stehen bleiben.
Wie sieht es in anderen Bundesländern aus? Beispiel Berlin:In Berlin sind alle Grundschulen mittlerweile Ganztagsgrundschulen. Ab Jahrgangsstufe 6 gibt es seit dem Schuljahr 2010/11 nur noch zwei Schulformen, die ISS (integrierte Sekundarschule) und das Gymnasium – wobei alle ISS Ganztagsschulen sind. Die Berliner Therapeuten sind also mit denselben Problemen konfrontiert wie die Therapeuten in Hamburg. Ein politisches Thema ist die Therapieerbringung im Ganztag in Berlin bisher allerdings nicht. Jeder Therapeut versucht bislang für den konkreten Einzelfall eine Lösung mit der jeweiligen Schule herbeizuführen. Dabei stoßen die Therapeuten in den Schulen auf unterschiedliche Kooperationsbereitschaft und Flexibilität.
Die Praxen stehen, wie auch in Hamburg, vor dem Problem, dass ein großer Andrang auf die Therapiezeiten am Spätnachmittag herrscht, bei gleichzeitiger Flaute in den Vormittagsstunden.
In den anderen Bundesländern ist die Ganztagesbeschulung noch nicht flächendeckend umgesetzt, so dass sich das hier geschilderte Problem erst verzögert zeigen wird. Dass die flächendeckende Ganztagesbeschulung jedoch kommt, steht außer Frage.
Daher ist bereits jetzt dringender Handlungsbedarf angezeigt.
Wie stehen die anderen Beteiligten zu dem Thema?Alle therapeutischen Berufsverbände, die Behörde für Schule und Berufsbildung und die Hamburger Schulleitungen sind sich einig, dass notwendige Therapien innerhalb des Ganztagsschulbesuchs möglich sein müssen. In Planungsworkshops werden sowohl die inhaltliche Ausgestaltung dieses Vorhabens besprochen, als auch versucht, die Kooperation mit den Vertretern der Krankenkassen herbeizuführen.
Der DVE präferiert die Lösung, Therapeuten direkt von den Schulen anstellen zu lassen und über eine Pauschale der Krankenkasse zu finanzieren.
Diese Variante lehnen der BED und die anderen Berufsverbände entschieden ab, da darüber zum einen die therapeutische Unabhängigkeit nicht mehr gegeben wäre, zum anderen freie, selbstständige Praxisinhaber ihrer Existenz beraubt würden.