Veröffentlicht am 09.05.2006
Krankenkassen brauchen mehr Gestaltungsfreiheit
03.05.06 (psg). Nur mit mehr Möglichkeiten der Differenzierung lassen sich strukturelle Versorgungsprobleme im ambulanten Bereich lösen. "Gefragt sind intelligente Lösungen, die regionale Besonderheiten berücksichtigen und die Niederlassung von Ärzten gezielt fördern", sagt Fritz Schösser, alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrates des AOK-Bundesverbandes.
Als ein Beispiel für "Übertreibungen" bezeichnet Schösser die aktuellen Proteste der Vertragsärzte: "Vor allem überrascht, dass derzeit freiberufliche Trittbrettfahrer aus dem Bereich der niedergelassenen Ärzte einen Tarifkonflikt zwischen Krankenhausärzten und Krankenhausträgern nutzen wollen, um von den Krankenkassen und der Politik noch mehr Geld zu erstreiten." Darauf habe die Selbstverwaltung der Kassen bisher "sehr zurückhaltend" reagiert. "Das wird nicht so bleiben können."
Der AOK-Verwaltungsratsvorsitzende verweist darauf, dass die Zahl der berufstätigen Ärzte seit Jahren ständig neue Höchststände erreicht.
Deutschland belege bei der Arztdichte im internationalen Vergleich mit rund 370 Ärzten auf 100.000 Einwohner einen Spitzenplatz. "Damit hat sich die Arztdichte seit Anfang der 70er-Jahre mehr als verdoppelt", erläutert Schösser. Aufgrund der Faktenlage sei offensichtlich: "Wir haben hier nicht so sehr ein Finanz- und Mengenproblem, sondern vielmehr ein Struktur- und Verteilungsproblem."
Enorme Überversorgung in BallungsgebietenHierzu zählt der Verwaltungsratsvorsitzende vor allem die ungleiche Verteilung der niedergelassenen Ärzte. In den Ballungsgebieten mit einem hohen Anteil an Privatpatienten gebe es "Arztpraxen wie Sand am Meer". In München-Stadt etwa betrage der Versorgungsgrad bei den Internisten mehr als 200 Prozent. In Berlin seien knapp 280 Hausärzte über der 100-Prozent-Versorgung zugelassen. "Diese enorme Überversorgung bindet Mittel, die in schwächer versorgten Regionen sinnvoll eingesetzt werden Könnten", bemängelt Schösser.
Der AOK-Verwaltungsratsvorsitzende hält es daher für den falschen Weg, auf das Problem drohender Unterversorgung in einigen Regionen "einfach nur mit mehr Einkommen für die niedergelassenen Ärzte" zu antworten. "Denn damit würden wir nur weiterhin Versichertengelder in Gegenden lenken, die ohnehin schon überversorgt sind und in denen vor allem zu viele Fachärzte tätig sind", so Schösser.
Verträge nur noch nach BedarfDen einzig sinnvollen Weg sieht er in mehr Vertragsfreiheit. "Wenn die Krankenkassen nur noch nach Bedarf und mit klaren qualitätssichernden Verträgen honorieren könnten, würden sich auch Versorgungsprobleme in manchen ländlichen Regionen leichter lösen lassen", ist Schösser überzeugt.
Hier müsse die anstehende Gesundheitsreform die entsprechenden Voraussetzungen schaffen.
Nach Ansicht Schössers können die Kassen mit mehr Vertragsfreiheit auch viel besser die Erwartungen ihrer Versicherten erfüllen. 85,7 Prozent der Patienten, so zeigt eine aktuelle Befragung durch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO), plädieren dafür, dass die Kassen stärker als bisher Patienten mit medizinischen Leistungen unterstützten. 82,7 Prozent wollen, dass die Kassen die Rechte der Patienten stärker vertreten.