Veröffentlicht am 18.05.2006
Komplexe Therapie kann Gelenkentzündungen bei den Jüngsten stoppen
Fußball kennt Kevin nur vom Spielfeldrand. Wenn seine Klassenkameraden vergnügt toben, muss er zuschauen. Gebremst wird der Achtjährige durch heftige Schmerzen und Schwellungen in den Gelenken. Kevin ist eines von 15 000 Kindern in Deutschland, die unter Rheuma leiden. Ihnen kann eine eng verzahnte Mischung aus Medikamenten, Bewegung und Psychotherapie helfen, in die häufig die gesamten Familie integriert wird.
Jedes Jahr weist die Statistik rund 1500 Neuerkrankungen der Juvenilen Idiopathischen Arthritis aus, wie Kinderrheuma in der Fachsprache heißt. Die Krankheit kann die Organe oder die Augen betreffen, in jedem Fall sind aber die Gelenke entzündet. Die häufigste Form ist die so genannte Oligoarthritis. «Diese Entzündung tritt an maximal vier Gelenken auf. Häufig ist das Kniegelenk betroffen», sagt Kirsten Minden, Oberärztin der Kinderrheumatologie am Helios-Klinikum Berlin-Buch.
Kinderrheuma ist schwierig zu erkennen - sowohl für die Eltern als auch für den Kinderarzt. «Hinweise können Schwellungen und Überwärmungen an den Gelenken, aber auch ungewöhnliche Bewegungseinschränkungen sein. Die Kinder wollen nicht laufen oder greifen falsch», erklärt die Ärztin. Auch ungewöhnliche Fieberschübe oder Hautausschläge können auf Rheuma bei Kindern hinweisen. Generell gilt: Wenn ein Gelenk dick ist, sollte ein Kinderarzt aufgesucht werden, bei einer Schwellung über 6 Wochen Dauer muss auch die Diagnose Rheuma ins Kalkül gezogen werden.
In der Praxis wird das Kind befragt und am ganzen Körper untersucht. «Leider helfen für die Erkennung von Rheuma Röntgen- oder Laborbefunde kaum weiter. Deshalb ist die Diagnose wie ein Puzzle», sagt Minden. Fügt der Arzt dieses zusammen und diagnostiziert Gelenkrheuma, bedeutet das kein lebenslanges Schicksal. «Man kann die Krankheit mittlerweile sehr gut therapieren», sagt Minden.
Für die Behandlung wird der kleine Patient an einen Kinderrheumatologen überwiesen. Die Spezialisten sind in der Regel in Fachkliniken oder großen Kinderkrankenhäusern zu finden. Ein größerer Teil der Therapie erfolgt ambulant, je nach Ausmaß und Schwere der Erkrankung müssen die Kinder aber auch stationär in der Klinik behandelt werden.
Die Ärzte beginnen damit, die Schmerzen in den Gelenken zu bekämpfen. «In den meisten Fällen werden cortisonfreie Antirheumatika gegen die Schwellung der Gelenke verordnet», sagt Gert Ganser, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendrheumatologie am St. Josef-Stift in Sendenhorst. Zusätzlich setzen die Mediziner auf so genannte Basis-Medikamente, die die Aktivität der Entzündung herabsetzen. «Außerdem wird bei akut entzündeten Gelenken per Injektion Cortison örtlich verabreicht», sagt Ganser.
Eng verzahnt ist die medikamentöse Therapie mit Bewegung. «Da tägliche Krankengymnastik wichtig ist, spielt die Anleitung der Eltern eine große Rolle», sagt Ganser. So sollen Mama und Papa den Kleinen beim schmerzfreien Bewegen der entzündeten Gelenke und später bei der Muskelkräftigung helfen. Auch bei Kältebehandlungen, die bis zu dreimal täglich nötig sind, wird das Umfeld in die Behandlung integriert. Zudem ist Ergotherapie ein wichtiger Baustein im Behandlungskonzept. «Dadurch lernen die Kinder, ihre Gelenke schonend einzusetzen und erhalten Hilfsmittel zur Korrektur des Fehlwachstums», sagt Minden.
Weil die Belastung sowohl für die Betroffenen und ihre Familien groß ist, steht weiterhin eine psychosoziale Betreuung auf dem Behandlungsplan. Dadurch sollen Kinder wie Kevin und ihr Umfeld lernen, mit der Krankheit umzugehen. «Wir haben an unserer Klinik beispielsweise einen Film produziert, der die Krankheit erklärt. Den können sich die Kinder gemeinsam mit ihren Klassenkameraden anschauen. Das verhindert Ausgrenzungen und Hänseleien», betont Ganser.
Auch Beratung zur späteren Berufswahl ist wichtiger Teil der Therapie. Bei diesem Part kann der Kinderrheumatologe eine Koordinierungsfunktion übernehmen. «Arbeitgeber denken häufig, mit Rheuma können Jugendliche nur im Büro arbeiten. Doch das ist falsch», sagt Ganser. In der Arbeitswelt könnten die jungen Rheumatiker ihre Krankheit sogar als Chance verstehen. «Studien haben gezeigt, dass die Kinder durch das Bewältigen ihrer Probleme eine hohe soziale Kompetenz haben und für viele Unternehmen wertvoll sind», unterstreicht der Arzt.
Auf Sport und ausgelassenes Toben muss Kevin übrigens auf Dauer nicht verzichten. Nach einer erfolgreichen Therapie der Oligoarthritis können manche Kinder langfristig auf Medikamente verzichten, die Symptome verschwinden. «Man kann die Krankheit zwar nicht heilen, aber zum Stillstand bringen», erläutert Minden. Allerdings ist der Weg dahin lang. «Mitunter kann eine Therapie mehrere Jahre dauern», erzählt Minden.
Aktiv verhindern lässt sich Kinderrheuma kaum, denn die Ursache ist bislang nicht komplett erforscht. Vermutet werden genetische Faktoren, und auch Infektionen könnten Auslöser sein. Auch wenn Jugendliche rauchen, könnte dies das Risiko erhöhen, weiß Minden.
(ddp)