Veröffentlicht am 13.06.2006
12.06.06 (psg). Endspurt in der Arbeitsgruppe "Gesundheitsreform" der Großen Koalition: Bis zur parlamentarischen Sommerpause Anfang Juli sollen die Eckpunkte der Reform feststehen. Bisher ging es um strukturelle Veränderungen auf der Ausgabenseite, die in den Grundzügen feststehen. In diesen Tagen setzt sich das Gremium mit der Frage auseinander, wie die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf eine dauerhaft solide Finanzgrundlage gestellt werden kann.
Nach Überzeugung der AOK ist ein Grundsatz entscheidend: "Es muss endlich das Prinzip "Das Geld folgt der Leistung" durchgesetzt werden", fordert Michael Weller, Leiter des Stabsbereichs Politik im AOK-Bundesverband. Nur dann sei der notwendige Wettbewerb um die beste medizinische Versorgung möglich.
Den Grundsatz "Das Geld folgt der Leistung" sieht Weller verwirklicht, wenn etwa – wie von der Arbeitsgruppe geplant – die Vergütung der niedergelassenen Ärzte auf feste Preise umgestellt wird: "Das Ziel, die Leistungen der Ärzte mit Pauschalen zu vergüten, ist richtig." Doch das mache weitere Änderungen notwendig. So vermisst Weller neue Instrumente, um künftig Fehlsteuerungen zu vermeiden, etwa durch nicht absehbare Zusatzkosten im Verlauf einer pauschal honorierten Behandlung. "Wir werden auch künftig nicht ohne eine Ausgaben-Obergrenze auskommen", ist Weller überzeugt. Denn: "Eine Vergütung mit festen Preisen ohne Begrenzung der Gesamtausgaben ist ein wirtschaftlicher Harakiri-Kurs für die Krankenkassen." Zu welchen Kostensteigerungen die Abschaffung eines Budgets führen könne, zeige die Ausgabenentwicklung bei Arzneimitteln.
Finanzierung nach der Morbidität
Eine pauschalierte Vergütung der Vertragsärzte allein reicht dem Politik-Leiter im AOK-Bundesverband aber nicht aus. "Wenn es richtig ist, das so genannte Morbiditätsrisiko, also den Krankheitszustand der Versicherten, von den Ärzten auf die Krankenkassen zu verlagern", erläutert Weller, "dann muss auch die Verteilung der Beitragsgelder der Kassen entsprechend dem Morbiditätsrisiko erfolgen, damit hier ebenfalls das Geld der Leistung folgen kann." Ohne eine solche Neujustierung des derzeitigen Risikostrukturausgleichs sei die Reform der Ärztevergütung nicht finanzierbar.
Entsprechend kritisch beurteilt Weller die Konsequenzen, falls das Vertragsarztrecht – wie im Kabinettsentwurf vorgesehen – geändert werden sollte. Danach soll die Morbiditätsorientierung des Risikostrukturausgleichs vom jetzt gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt 2007 um mindestens zwei Jahre verschoben werden. Gleichzeitig aber sollen die Kassen die Ärzte ab 2007 nach dem tatsächlichen Krankheitszustand der Patienten vergüten. Weller: "Das passt einfach nicht zusammen."
Hinzu kommt, dass die Vertragsarztreform der AOK-Gemeinschaft ohnehin höhere Ausgaben aufbürden wird. Bisher handelt jede Kasse mit den Kassenärztlichen Vereinigungen den so genannten Punktwert aus, mit dem die ärztlichen Leistungen vergütet werden. Dabei haben viele AOKs niedrigere Werte ausgehandelt als andere Kassen – ein Kostenvorteil. 2007 soll dieser Punktwert bundesweit angeglichen und vereinheitlicht werden. Damit fallen für die AOK höhere Kosten an. Für Weller der falsche Weg: "Wenn man Wettbewerb einfordert, darf man nicht eines der wichtigsten Merkmale – den Preis für eine Leistung – per Gesetz vereinheitlichen."
Doppelte Kosten für ambulant und stationär vermeiden
Welche Folgen es hat, wenn das Geld nicht der Leistung folgt, macht der Leiter des Stabsbereichs Politik im AOK-Bundesverband am Beispiel der ambulanten Behandlung im Krankenhaus deutlich. Wird ein Patient in der Klinik ambulant versorgt und nicht beim niedergelassenen Facharzt, bezahlt die Krankenkasse die Kosten im Krankenhaus, ohne jedoch im ambulanten Bereich entsprechend geringere Ausgaben zu haben. "So lange es nicht möglich ist, Behandlungen zwischen den Sektoren ambulant und stationär zu verrechnen, bezahlen die Kassen in solchen Fällen letztlich doppelt", kritisiert Weller. Dabei würden die Kassen schon heute gerne viel häufiger Kliniken in der ambulanten Versorgung einsetzen.
Deshalb wird die AOK Weller zufolge noch im Juni – also vor Abschluss der Arbeitsgruppe "Gesundheitsreform" – Vorschläge präsentieren, wie bei ambulanten Leistungen im Krankenhaus eine Budgetbereinigung erfolgen kann.
Auf dem richtigen Weg sieht Weller die Große Koalition bei dem Vorhaben, dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln zu ermöglichen.
In den meisten Industriestaaten gibt es bereits seit mehreren Jahren Institutionen, die darüber befinden, ob ein zugelassenes Medikament auf Kosten des jeweiligen Krankenversicherungssystems verordnet werden darf. Dabei erfolgt diese Bewertung unabhängig von der Zulassung nach dem Arzneimittelrecht. "Die Kosten-Nutzen-Bewertung ist das einzig sinnvolle Instrument, um zu verhindern, dass die Solidargemeinschaft teure Arzneimittel bezahlt, auch wenn diese keinen therapeutisch höheren Nutzen haben als bereits vorhandene und preisgünstigere Medikamente", erläutert Weller.
Gesundheitsfonds skeptisch beurteilt
Skeptisch beurteilt Weller die bisherige Diskussion über eine Finanzreform der GKV. Das Modell eines Gesundheitsfonds, in den Beiträge der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Steuerzahler fließen, wird zwar von der Bundesregierung favorisiert, stößt jedoch in den Regierungsparteien auch auf Ablehnung. Durchaus zu recht, meint Weller. Denn die Idee, dass Kassen mit einer hohen Zahl an Kranken und folglich höheren Kosten eine zusätzliche Prämie von ihren Versicherten verlangen sollen, treffe vor allem die Patienten. Weller: "Schon jetzt zahlen die Patienten im Jahr etwa fünf Milliarden Euro an Zuzahlungen und Praxisgebühr." Sollten künftige Kostensteigerungen wie etwa durch den medizinischen Fortschritt allein über die Prämie aufgefangen werden, führe dies zur finanziellen Überlastung der Versicherten.
Unabhängig von der Frage der künftigen Finanzierungsbasis fordert Weller von den Regierungsparteien Lösungen ein, mit denen die Kostensteigerungen, die Union und SPD selbst den Krankenkassen von 2007 an aufbürden, ohne Beitragssatzsteigerungen aufgefangen werden können. "Am sinnvollsten und einfachsten wäre es, die Große Koalition verzichtete auf die Kürzung des Bundeszuschusses und würde die höhere Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zumindest verschieben", sagt Weller. Dass so etwas möglich sei, habe die Bundesregierung gerade erst bewiesen: mit den Ausnahmen, die sie den Landwirten bei der Mehrwertsteuer-Erhöhung zugesagt habe.