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Warum Jonas kein Rezept mehr erhält

Veröffentlicht am 26.06.2006

LEUTKIRCH - Jonas hat, obwohl erst fünf Jahre alt, bereits zwei Probleme: Erstens sieht er schlecht und zweitens dürfen ihm die Ärzte keine weiteren Rezepte für Ergotherapie verschreiben. Die neuen Heilmittel-Richtgrößen verpflichten Kinderärzte in Baden-Württemberg nämlich zum Sparen.


Von unserer Mitarbeitern Sabine Müller


Exakt 14,61 Euro darf ein Kinderarzt seit 1. Januar 2006 pro Patient pro Quartal ausgeben. Dann ist Schluss. So ist es auch bei Jonas Henne. Der fünfjährige Junge hatte - bis er vier Jahre alt war - nur ein Sehvermögen von zehn bis 20 Prozent. Seit Herbst trägt er eine runde Brille. "Jetzt muss er lernen, das, was er sieht, richtig einzuordnen", sagt Ergotherapeutin Andrea Schaefer aus Leutkirch.

Jonas war immer ein Draufgänger. Ein "risikofreudiger Tollpatsch", sagt seine Mutter Heike Henne. ""Er ist überall hochgeklettert, hat alles ausprobiert und nie gezögert."" Im Urlaub letztes Jahr fanden die Eltern heraus, warum sich Jonas vor nichts fürchtet. Beim Fahrradfahren auf einem Bauernhof radelte der Bub frontal auf einen Pfosten - denn er konnte Hindernisse oder Gefahren nicht sehen.

Trotz der Brille nimmt Jonas seine Umgebung aber nicht richtig war. Er schafft es noch nicht, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Schon die Augenärztin erkannte das Problem und verschrieb dem Jungen letztes Jahr zur Brille zusätzlich eine Ergotherapie.

"Wir trainieren die Koordination zwischen Auge und Hand", erklärt Andrea Schaefer ihre Arbeit. "Mit spielerischen Übungen schulen wir seine Feinmotorik." Ohne die Therapie könnte Jonas wahrscheinlich nie zügig von der Tafel abschreiben. ""Kinder wie Jonas landen deshalb in Fördergruppen oder in einer Sonderschule", sagt Andrea Schaefer. Damit Jonas auf eine ganz normale Schule gehen kann, benötigt er etwa 60 Sitzungen. 45 Termine haben ihm seine Augenärztin und der Leutkircher Kinderarzt Dr. Wolfgang Fesseler bereits verschrieben. Aber seit Anfang des Jahres sind beiden Ärzten die Hände gebunden.

Schuld daran ist Paragraf 5 des Sozialgesetzbuchs Nummer V. Dieser schreibt vor, dass alle Leistungen "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" sein müssen. Und laut Statistik der Krankenkassen hat Jonas bereits überdurchschnittlich viel gekostet. "Bisher wurde darauf nur mäßig geachtet", erklärt Dr. Achim Hoffman-Goldmayer, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württembergs. Am 13. Dezember 2005 verschickte er ein Rundschreiben an alle Ärzte und erklärte, dass "die als Anlage beigefügten Richtgrößen des Kalenderjahres 2006 ab sofort verbindlich sind".

Strafe kann 25 000 Euro kosten

Seite drei des Rundschreibens zeigte eine Tabelle mit Beträgen, die Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen für ihre Patienten ausgeben dürfen. Bei Kinderärzten ist das seit diesem Jahr etwa halb so viel wie noch im Jahr zuvor. Die Therapie für Jonas kostet 330 Euro pro Rezept mit zehn Sitzungen. Das kann sich Dr. Wolfgang Fesseler nur noch in "unumgänglichen Fällen" leisten.

"Damit gibt die Kassenärztliche Vereinigung den Kostendruck einfach an uns Ärzte weiter ohne nach Krankheitsbildern oder Patientenstrukturen zu fragen", sagt Dr. Fesseler. Das sieht die Kassenärztliche Vereinigung anders: Wer zuviel verschreibt und Regressansprüche der Krankenkassen auf sich zieht, kann sich auf eine "Praxisbesonderheit" berufen. Das allerdings bedeutet viel Bürokratie - und es drohen Strafen von bis zu 25 000 Euro.

Darauf lassen sich heute selbst nervenstarke Ärzte wie Dr. Fesseler nicht mehr ein. Weshalb viele Patienten auf ihre Therapien verzichten müssen. Gelöst werden könnte dieses Problem, würde die "Praxisbesonderheit" festgestellt und anerkannt werden, bevor ein Regressverfahren gegen den Arzt eingeleitet wird, sagt Fesseler.

Jonas weiß noch nicht, dass seine Therapie bald zu Ende ist. Ergotherapeutin Andrea Schaefer gibt den Eltern Spiele und Trainings-Tipps für zu Hause mit - und hofft, dass der Junge trotzdem zügig Schreiben lernt. Jonas" Mutter Heike Henne ist enttäuscht und kann diese Entwicklung nicht so recht verstehen: "Wenn die Gesundheitsreform sich so auswirkt, dass nichts mehr für die Kinder eines Landes getan wird, dann sind wir sicher auf dem falschen Weg."


(Stand: 22.06.2006 00:15)

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