Veröffentlicht am 17.12.2006
2007 rollt die Kostenlawine
(14.12.06) Zum Jahreswechsel werden die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um durchschnittlich 0,7 Prozentpunkte steigen. Das haben die Spitzenverbände der Krankenkassen am 8. Dezember 2006 mitgeteilt. Der Schritt sei unvermeidlich, um die 2007 anstehenden finanziellen Belastungen – insbesondere durch die höhere Mehrwertsteuer und einen geringeren Steuerzuschuss – aufzufangen.
Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen machten in einer gemeinsamen Erklärung deutlich, dass jede der im Wettbewerb stehenden Krankenkassen ein Interesse daran habe, Beitragssatzanhebungen zu vermeiden oder zu begrenzen. In Anbetracht des Zickzack-Kurses bei der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen und angesichts einer Gesundheitsreform mit vielen (Finanz-)Risiken bleibe den Krankenkassen aber keine andere Möglichkeit, als die Beitragssätze im nächsten Jahr anzuheben. Nach Kalkulation der Spitzenverbände fehlen der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr fast sieben Milliarden Euro, um die Ausgaben zu decken. Deshalb werde der durchschnittliche Beitragssatz von derzeit 14,3 Prozent voraussichtlich auf rund 15 Prozent steigen.
Keine Entlastung durch die GesundheitsreformDie Spitzenverbände wiesen in der gemeinsamen Erklärung darauf hin, dass allein die höhere Mehrwertsteuer zu einem Kostenschub von fast einer Milliarde Euro bei Medikamenten, Hilfsmitteln und Fahrkosten führe. Außerdem kürze der Gesetzgeber im nächsten Jahr den Steuerzuschuss für die so genannten versicherungsfremden Leistungen (insbesondere Leistungen bei Mutterschaft und Schwangerschaft) um 1,7 Milliarden Euro. Gleichzeitig müssten die Krankenkassen durch die geplante Gesundheitsreform neue Leistungen finanzieren. Statt der von der Bundesregierung in Aussicht gestellten Entlastung rechnen die Krankenkassen einvernehmlich mit zusätzlichen Kosten von rund 450 Millionen Euro. Darüber hinaus sei es nach wie vor nicht sicher, ob die mit der Gesundheitsreform frühestens ab 1. April 2007 in Kraft tretenden Maßnahmen zur Kostendämpfung im Arzneimittel- und Krankenhausbereich tatsächlich wirksam würden.
Fakten zur BeitragssatzentwicklungIn einer gemeinsamen Versicherten-Information erläutern die gesetzlichen Krankenkassen die wesentlichen Gründe für die Entwicklung der Beitragssätze (Auszüge):
Die Mehrwertsteuer steigt:
19 Prozent Mehrwertsteuer treffen auch die Krankenkassen. Durch die Steuererhöhung um drei Prozentpunkte schnellen allein die Ausgaben für Medikamente, Hilfsmittel und Fahrkosten um 950 Millionen Euro nach oben. Viele andere europäische Länder erheben hierfür keine oder eine reduzierte Mehrwertsteuer.
Die Versicherten zahlen die Zeche:
2007 erhalten die Krankenkassen deutlich weniger Steuermittel. Statt 4,2 Milliarden werden es wohl nur noch 2,5 Milliarden Euro sein. Die Bundesregierung hält sich nicht an die Zusage, gesellschaftspolitische Leistungen der Krankenkassen angemessen auszugleichen. Fünf Milliarden Euro geben die gesetzlichen Krankenkassen jedes Jahr für Aufgaben aus, um die sich eigentlich der Staat kümmern müsste. Das sind zum Beispiel Leistungen für Schwangere und junge Mütter, Haushaltshilfen oder das Kinder-Krankengeld. Die Versicherten zahlen die Zeche.
Viele Reformen, wenig Wirkung:
Seit Jahren verspricht die Politik den Krankenkassen finanzielle Entlastung und zwingt sie zur „Beitragsdisziplin“. Doch grundlegende Reformen sind bisher ausgeblieben. Und die Wirkung fast aller Spargesetze ist verpufft. Stattdessen weist der Gesetzgeber den Kassen immer neue Aufgaben zu, zum Beispiel die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte.
Mehr Ausgaben:
Die gesetzliche Krankenversicherung sichert eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Einkommen. Das hat seinen Preis. Und der steigt, allen Sparanstrengungen zum Trotz. Die Krankenkassen müssen immer noch vieles bezahlen, was zwar teuer ist, den Patienten aber nicht unbedingt mehr nützt. Das treibt vor allem die Ausgaben für Arzneimittel weiter in die Höhe. Das Gesetz für eine wirtschaftlichere Versorgung mit Arzneimitteln wirkt. Aber 2006 liegen die Ausgaben für Pillen und Pasten schon wieder über dem Niveau des Vorjahres. Und auch die Einführung der neuen Krankenhaus-Finanzierung wird sich frühestens in den nächsten Jahren kostensenkend auswirken.
Von der linken in die rechte Tasche:
Seit 1995 haben die jeweiligen Bundesregierungen 17 Gesetze erlassen, die der gesetzlichen Krankenversicherung Geld entziehen, um damit Löcher in der Rentenversicherung oder bei der Bundesagentur für Arbeit zu stopfen. Besonders schwer zu verkraften ist die gesetzlich verordnete Kürzung der Krankenkassenbeiträge für Arbeitslose. Die Bundesagentur verfügt inzwischen über einen Milliarden-Überschuss. Die Krankenkassen dagegen werden jedes Jahr mit mehr als sieben Milliarden Euro belastet. Ohne diesen staatlichen Aderlass wäre die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung trotz aller Probleme weit weniger dramatisch.
Neue Aufgaben durch die Gesundheitsreform:
Die geplante Gesundheitsreform verschafft den Krankenkassen keine Luft. Im Gegenteil: Die neuen Leistungen für die Versicherten haben ihren Preis und führen zu Mehrkosten. Hinzu kommen die noch nicht bezifferbaren Kosten für die anstehende Reform der ärztlichen Vergütung und für die bundesweite Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Auch die Kosten für die Einlagerung von Impfstoffen für den Fall einer großen Grippewelle wollen die Bundesländer auf die Krankenkassen abwälzen. Kostenpunkt: zwischen 1,3 und 1,7 Milliarden Euro.