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Therapeut*innen gehören nicht in die Pflege!

Veröffentlicht am 28.11.2018
Aktualisiert am 16.08.2023

In Zeiten des Fachkräftemangels beim Pflegepersonal greifen Einrichtungen in ihrer Not teilweise auf angestellte Therapeut*innen zurück, um diese als Pflegehilfskräfte einzusetzen. Dies ist aus folgenden Gründen kontraindiziert:

1. Arbeitsrechtliche Gesichtspunkte

Arbeitsrechtlich gesehen stellt der Einsatz eines Therapeuten als Pflegehilfskraft eine Versetzung in ein geringerwertiges Arbeitsfeld dar, weil der Therapeut im Pflegebereich als ungelernte Hilfskraft lediglich untergeordnete Tätigkeiten ausführen und keine pflegerische Verantwortung übernehmen kann und darf.

In seiner Tätigkeit z.B. als Ergotherapeut hingegen ist er nach ärztlicher Anweisung betraut mit der eigenständigen ergotherapeutischen Diagnostik als Grundlage der daraus folgenden Definition der konkreten Therapieziele und Erstellung des Therapieplanes. Die qualifizierte Durchführung der Therapie mit erneuter ergotherapeutischer Diagnostik zur Überpruüfung der Therapieziele und/oder zur Anpassung des Therapieplanes liegt in der Eigenverantwortung des jeweiligen Therapeuten (s. Leistungsbeschreibung Ergotherapie in Anlage 1 des Ergotherapievertrages).
 
 

Beispiel:

Ein Patient ist nicht (mehr) in der Lage sich selbst die Zähne zu putzen.

Ergotherapeutische Behandlung:

Zunächst werden die konkreten Ursachen für diese Einschränkung der Alltagsbewältigung beobachtet und analysiert. Es könnte sich um ein kognitives, neurologisches oder physiologisches Problem handeln.

Der Ergotherapeut beobachtet beispielsweise, dass der Patient beim Zähneputzen den Arm starr hält und wenig Bewegung aus dem Handgelenk zeigt. Der Ergotherapeut löst dieses Bewegungsmuster aus dem Alltag des Patienten heraus und analysiert dieses gesondert in der Therapiesituation.

Innerhalb dieser Therapiesituation ist eine ausführliche Befundung von zentraler Bedeutung. Diese enthält neben der körperlichen Analyse auch die Beachtung weiterer Erkrankungen und der Informationen aus dem Arztbericht sowie die persönlichen Interessen und Wünsche des Klienten. Gerade aus letzterem ergibt sich die intrinsische Motivation des Klienten. Ist diese nicht gegeben, kann es sich bei dem Klienten beispielsweise um eine versteckte Depression handeln, welche behandlungsbedürftig ist. Auch in der Befundung entdeckte Muskelatrophien oder andere körperliche Erscheinungen können auf ein schwerwiegenderes Problem hindeuten.

Aufgrund der zielgerichteten Analyse ist es dem Ergotherapeuten möglich, mit einer genauen Beschreibung der Problematik den Arzt hinzuzuziehen und eine diagnostische Abklärung zu initiieren. Dadurch können Erkrankungen frühzeitig erkannt und weiterer Pflegebedarf im Voraus verzögert oder verhindert werden.

Ist in der Befundung ausgeschlossen, dass die im Alltag gezeigte Bewegungseinschränkung einen kognitiven Ursprung hat, erfolgt nach Inspektion und Palpation der oberen Extremität des Klienten, eine aktive und passive Funktionsanalyse der Bewegungen. Hierbei kann der Ergotherapeut weiter eingrenzen, ob es sich um eine artikuläre, muskuläre oder neurologische Einschränkung handeln könnte. Im oben gegebenen Beispiel lässt der Klient aufgrund von Schmerzen weder die aktive noch die passive Funktionsbewegung im Bereich des Handgelenks zu. Nach speziellen Dehntests kann der Verdacht einer Sehnenscheidenentzündung im ersten dorsalen Sehnenfach gestellt werden. Auch dies muss wiederum mit dem behandelnden Arzt besprochen werden, der eine entsprechende Diagnose stellen kann, wenn sich der Verdacht auch bei ihm bestätigt. Neben der aktuellen Situation ist es für den Ergotherapeuten zusätzlich eine wichtige Frage, weshalb es zur Ausbildung der Sehnenscheidenentzündung kam. Welche Tätigkeit im Alltag des Klienten führte dazu, dass er nun unter diesen Schmerzen und Einschränkungen leidet?

Der Ergotherapeut behandelt nicht nur die aktuelle Situation, sondern hat auch das Bestreben, die Ursache des Problems herauszufinden, um eine erneute Erkrankung durch geschulte Bewegungen oder den Einsatz von Hilfsmitteln zu verhindern.

In der Behandlung werden nun u.a. gezielt Dehnübungen und Funktionsmassagen vorgenommen. Gleichzeitig werden auch die angrenzenden Gelenke mit beispielsweise manuellen Techniken bedacht um Bewegungseinschränkungen aufgrund zuvor eingenommener kompensatorischer Haltung zu reduzieren. Auch wird der Klient zu speziellen Übungen angeleitet, um mitverantwortlich den Therapieprozess zu begleiten. Nachdem sich der Entzündungszustand gelegt und die schmerzfreie Beweglichkeit wieder gegeben ist, wird die Alltagssituation „Zähne putzen“ nochmals erprobt und gemeinsam mit dem Klienten analysiert. Der Klient kann nun die „Schrubbewegungen“ aus dem Handgelenk heraus ohne Schmerzen meistern und nimmt aufgrund derer keine Kompensationshaltung mehr ein. Aufgrund der Schmerzfreiheit im Bereich des Handgelenks ergeben sich weitere Bewegungen im Alltag, die nun ebenfalls wieder gelingen, wie z.B. das Auf- und Zuknöpfen der Strickjacke, das Halten eines Stiftes, ...

Eine Bewegungseinschränkung in einem Bereich des Alltags kann sich negativ auf andere Bereiche des Klienten ausweiten. Genauso kann sich die Therapie einer Einschränkung auf die Verbesserung vieler Bewegungen im Alltag auswirken, wodurch sich die allgemeine Pflegebedürftigkeit eines Klienten verringern kann.

Selbstverständlich ist für eine derart individuelle Behandlung eine 1:1-Situation ebenso unerlässlich wie ein entsprechend zeitlicher Rahmen.

Lediglich ein Teil der therapeutischen Interventionen ist gruppentherapeutisch durchführbar und dies auch nur bei entsprechender persönlicher Eignung der jeweiligen Patienten und einer passenden Gruppenzusammensetzung.



Aus der beispielhaften Darstellung erschließt sich sofort, dass dahingegen ein in der Pflege eingesetzter Ergotherapeut allein aufgrund der strukturellen und zeitlichen Einschränkungen lediglich dem betreffenden Klienten beim Zähneputzen helfen oder dies für ihn durchführen könnte.

Die therapeutischen Möglichkeiten können also keine Anwendung finden.

Gleichzeitig kann der Therapeut in der Pflege keine eigenverantwortliche Rolle übernehmen, da er keine pflegerische Ausbildung durchlaufen hat, und ist damit zur Hilfskraft degradiert.

2. Betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte

Der Einsatz von Heilmittelerbringer*innen in der Pflege ist unwirtschaftlich, weil

  • das Gehalt angestellter Therapeut*innen in der Regel das Gehalt ungelernter Pflegehilfskräfte übersteigt
  • durch den Einsatz der Therapeut*innen in der Pflege die pflegeverhindernden und pflegemindernden Effekte der dann fehlenden Therapien letztlich zu einem noch höheren Pflegeaufwand führen
  • in der Pflege eingesetzte Therapeut*innen aufgrund Unzufriedenheit mit der berufsfremden Tätigkeit eine weniger enge Bindung an ihren Arbeitgeber entwickeln, was zur Senkung der Arbeitsmoral, mehr Krankheitstagen und Stellenwechsel führt.

Insofern ist es weit sinnvoller, benötigte Pflegehilfskräfte anderweitig zu rekrutieren.

3. Gesamtgesellschaftliche Gesichtspunkte

Nachgewiesenermaßen leidet unsere Gesellschaft nicht nur an einem Fachkräftemangel in der Pflege sondern auch im Bereich der Heilmittelerbringer*innen (Physio- und Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen, Podolog*innen und Ernährungstherapeut*innen).

Heilmittelerbringer*innen sind jedoch maßgeblich für die Verhinderung, Verzögerung und Verminderung von Pflegebedürftigkeit verantwortlich. Ein fachfremder Einsatz ausgerechnet dieser Berufsgruppen hätte daher fatale Auswirkungen dahingehend, dass der Pflegenotstand sich durch einen vermeidbaren Anstieg der Pflegebedürftigkeit verschärfen würde.

Im Gegenteil ist es höchste Zeit, dass durch gezielte politische Maßnahmen die Versäumnisse der Vergangenheit aufgeholt werden und die Attraktivität der Heilmittelberufe nachhaltig erhöht wird, um den vorhandenen und künftig noch steigenden Bedarf an Therapien decken zu können.

Nur in Ausübung ihres erlernten Berufes können Heilmittelerbringer*innen einen wirklich sinnvollen Beitrag zur Linderung des Pflegenotstandes leisten.


Auf unserer Webseite arbeiten wir teilweise sprachlich dem Duden entsprechend mit dem generischen Maskulinum. Dies bedeutet, dass die allgemein bekannte verallgemeinernde, grammatikalisch männliche Bezeichnung gewählt wird. Hiermit sind in jedem Fall Personen aller Geschlechter gleichermaßen gemeint.
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