Veröffentlicht am 05.07.2024
Emmi Zeulner, MdB, im Gespräch mit Professor Hecken, dem Unparteiischen Vorsitzenden des G-BA
Wir berichten über die online-Veranstaltung des Health Care Bayern e.V. vom 2.7.2024.
Staatsmedizin versus Selbstverwaltung
Dass Prof. Hecken kein Freund von Karl Lauterbach ist, wurde direkt zu Beginn der Veranstaltung am 02.07.2024 klar. Hr. Hecken verlautbarte, dass Gesundheitsminister Lauterbach quasi eine Staatsmedizin betreibe. Dem G-BA als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen böten sich deshalb derzeit nur wenig Handlungsmöglichkeiten. Er zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass dies in ein paar Jahren schon wieder anders aussähe, denn er sei überzeugt, dass der Gesetzgeber diese Vielzahl an Aufgaben schlichtweg gar nicht leisten könne.
Der BED e.V. teilt Heckens Argumentation, da die systemischen Kenntnisse der Mitarbeitenden des Staates in der Regel nicht so tiefgreifend sein können, wie es die der jeweils betroffenen Berufsgruppen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass für staatlich gesteuerte Gesundheitssysteme auch deutlich mehr Staatsdiener notwendig sind, was neben den Herausforderungen, die dabei der Fachkräftemangel mit sich bringt, auch noch mit Mehrkosten einher geht.
Die Selbstverwaltung sorgt damit zumeist für effizientere Regelungen und eine schnellere Umsetzung, als dies dem Staat im komplexen deutschen Gesundheitssystem möglich wäre.
Allerdings hat die auch ihre Grenzen.
An jenen Stellen muss der Staat regulieren. Nur allzu gerne lehnt sich das Bundesministerium für Gesundheit BMG jedoch mit Verweis auf eben jenes Prinzip der Selbstverwaltung gänzlich zurück und legt die Hände in den Schoß, wie es jüngst bei den klaren verfassungsrechtlichen Bedenken des BED e.V. gegen eine ausschließlich eigeninteressensgesteuerte Parteienmehrheit in der Schiedsstelle nach §125 der Fall war. Hier wäre ein staatlicher Eingriff erforderlich gewesen.
Fehlender staatlicher Eingriff am Beispiel der Schiedsstelle
Die 3 unparteiischen Mitglieder der Schiedsstelle, die einen Interessensausgleich unter den aus guten Gründen dissenten Parteien überhaupt erst ermöglichen können, sind seitdem in ihrer Funktion zu Witzfiguren verkommen. Ihre Stimmen geben nicht mehr den Ausschlag und sind damit wirkungslos, egal in welche Richtung sie auch stimmen.
In einem demokratischen Land darf gesundheitliche Versorgung jedoch nicht von Partikularinteressen gesteuert werden.
Der BED e.V. wird daher die Schiedsstellenbesetzung über das Landessozialgericht verfassungsrechtlich klären, nachdem die Politik einmal mehr nur zuschaut.
Eine Frage bewegte viele Teilnehmende
Die rund 370 Teilnehmenden der Veranstaltung artikulierten sinngemäß vor allem eine Frage:
Weshalb wurden die Heilmittelerbringenden noch immer nicht in den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) aufgenommen, weshalb bleiben sie weiterhin unberücksichtigt, während stattdessen die Pflegenden nunmehr lt. GSVG (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz) aufgenommen und im gleichen Zuge auch die Patient*innenrechte weiter ausgebaut wurden?
Situation der Therapieberufe im G-BA
Darauf angesprochen antwortete Hr. Hecken lapidar, es gäbe im Heilmittelbereich zu viele Verbände mit heterogenen Interessen, da bräuchte es schon eine Art Zusammenschluss, wie es in der Pflege nun durch den deutschen Pflegerat geschehen sei.
Exkurs: Die Begriffe Heilmittel und Heilmittelerbringer entstammen einer Trennung zwischen Arzneimittel und Heilmittel durch die Reichsversicherungsordnung 1914. Ab 1981 hielt diese Begriffsbestimmung aus rein ökonomisch-fiskalen Gründen vermehrt Einzug in die Gesetzgebung. Bis 2016 hatte sogar der Oberbegriff „Heil- und Hilfsmittel“ Bestand in den Rechnungsergebnissen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Seitdem werden Ausgaben im Bereich „Heilmittel“, getrennt von den Hilfsmitteln, in der Kostenrechnung der GKV in der Kontengruppe“45“ summiert.
Die unter diesen Begriffen zusammengefassten sehr unterschiedlichen Leistungen und Berufe können daher gar nicht zu einer „Heilmittelerbringerbank“ eingedampft werden.
Es braucht demzufolge für jede der Berufsgruppen einen Sitz und damit eine eigene Bank. Ein Ergotherapeut /eine Ergotherapeutin kann in einem Gremium nicht die fachliche Expertise eines Physiotherapeuten/einer Physiotherapeutin vertreten, ebenso wenig wie das umgedreht möglich wäre.
Die Leistungen von Ergotherapeut*innen sind eben mit denen der Physiotherapeut*innen oder denen der Podolog*innen usw., schlichtweg nicht vergleichbar und zu unterschiedlich, um sie alle über ein und denselben Kamm zu scheren. Wäre dem nicht so, handelte es sich nicht um eigenständige Berufe. Bei den bundesweiten Verträgen mit der GKV wird dem Rechnung getragen, indem jeder Heilmittelerbringerbereich und damit jeder Therapiebereich eigenständig verhandelt und folgerichtig auch einen eigenen Vertrag abschließt.
Darf der G-BA überhaupt Entscheidungen zu Lasten der Therapieberufe treffen?
Seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, ob der G-BA eigentlich überhaupt über eine demokratische Legitimation verfügt über die Interessen und Belange aller Heilmittelbereiche zu entscheiden, da die Vertreter der jeweiligen Heilmittelberufe selbst innerhalb des G-BA über gar keinen eigenen Sitz verfügen.
Damit werden Entscheidungen im G-BA zu Lasten der Heilmittelbereiche getroffen, die die Betroffenen selbst noch nicht mal im Ansatz mitprägen können. Der G-BA trifft also Entscheidungen zu Lasten sämtlicher Heilmittelberufe, deren Vertretenden lediglich stellungnahmeberechtigt sind.
Das sagen das Bundesverfassungsgericht und 3 durch das BMG beauftragte Gutachter:
Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im November 2015 ist klar, dass eine Legitimation des G-BA immer dann fehlt, wenn mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter geregelt werden. Die Aufnahme der Pflege in den Mitbestimmerkreis des G-BA überrascht daher nicht, sondern zeigt, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die demokratische Legitimation des G-BA ohne die Mitwirkung derer, deren Belange unmittelbar berührt werden, offenkundig fehlt.
Seinerzeit führte das Bundesverfassungsgericht aus:
…“Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für eine Richtlinie hinreichende Legitimation besitzt, wenn sie zum Beispiel nur an der Regelsetzung Beteiligte mit geringer Intensität trifft, während sie (Anm. d. Verf.:die Legitimation) für eine andere seiner Normen fehlen kann, wenn sie zum Beispiel mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, inwieweit der Ausschuss für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet ist.“…
Quelle: Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. November 2015 - 1 BvR 2056/12
Auf Grund dieses Bundesverfassungsgerichtsurteils beauftragte das BMG im Jahr 2016 dazu gleich 3 Gutachter mit einer Bewertung.
Im August 2018 kommen Univ.-Prof. Dr. iur. Ulrich M. G a s s n e r , Mag. rer. publ., M. Jur. (Oxon.), Universität Augsburg und Priv.-Doz. Dr. iur. Dipl. sc. pol. Univ. Thomas H o l z n e r , Universität Bayreuth zu dem Ergebnis:
"... Ausgehend von einem weiten Grundrechtsverständnis besteht ein gesetzgeberischer Änderungs- oder Konkretisierungsbedarf hinsichtlich mehrerer Regelungsaufträge an den G-BA, da sie den für eine demokratische Legitimation ausreichenden Grad an gesetzlicher Anleitung nicht aufweisen. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Bestimmtheit der jeweiligen Ermächtigungsnorm, zum anderen aber auch mit Blick auf die Mitwirkungsrechte der nicht im G-BA vertretenen Leistungserbringer. ..."
Siehe: RECHTSGUTACHTEN ZUR VERFASSUNGSRECHTLICHEN LEGITIMATION DES G-BA
Auch der 2. Gutachter, Univ.-Prof. Dr. Thorsten Kingreen, kommt zum selben Schluss: Die Belange von Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, SSSSt, Podologen und Diätassistenzen sind maßgeblich von den Entscheidungen des G-BA betroffen selbst, jedoch nicht an der Entscheidung beteiligt.
Siehe: Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung
Selbst Kluth, der 3. Gutachter, der eine sehr konservative Perspektive einnimmt, sieht Probleme bei der Legitimation, wenn auch lediglich was die Stimmrechte des GKV-Spitzenverbandes anbetrifft.
Siehe: Rechtsgutachten Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses
Bewertung der Entwicklung und daraus abzuleitende Handlungen
Da der Gesetzgeber nun versucht die verfassungsrechtliche Legitimität durch die Aufnahme weiterer Leistungserbringer (hier der Pflege) in den G-BA zu heilen und damit den Gutachtern Kingreen sowie Gassner folgt, kann es nur konsistent und folgerichtig sein, auch die Therapieberufe und damit die jeweiligen Heilmittelbereiche mit aufzunehmen.
Die nun erfolgende selektive Vornahme, statt einer konsequenten Umsetzung zur Erlangung der verfassungsrechtliche Legitimität des G-BA über alle Berufe im Gesundheitswesen, macht deutlich, dass die Sitze der Heilmittelberufe im G-BA ebenfalls auf dem Klageweg errungen werden müssen, um dringend notwendige Veränderungen anzustoßen.
Die Ungleichbehandlung der Therapieberufe wird durch die Aufnahme der Pflege in den Mitbestimmerkreis des G-BA nur umso deutlicher. Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen. Die Therapieberufe müssen aus dem Kreislauf der ewig übersehenen Berufe ausbrechen und mit an den Entscheidertisch, denn: Ohne die Therapierenden sieht die Zukunft unseres Landes schwarz aus!
Wir danken all unseren Mitgliedern für Ihre großartige Unterstützung! Es gibt viel Nachholbedarf. Auf Grund starker Beharrungskräfte bei größtenteils schwacher Vertretung der Berufsgruppen durch jahrzehntelanges berufspolitisches Leistetretertum sind viele Therapeutenrechte nicht (mehr) aushandelbar, sondern müssen über den Rechtsstaat erstritten werden.
Dazu wird noch ein bisschen Zeit vergehen. Aber es gibt Hoffnung und zwischenzeitlich viele kleine Siege und neue Entwicklungen, die die Therapeut*innen Schritt für Schritt weiterbringen.