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Landesberichterstattung Gesundheitsfachberufe NRW 2023 - Interessante Ergebnisse und das Ende mancher Mythen

Veröffentlicht am 11.12.2023

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen unter der Leitung von Minister Karl-Josef Laumann (CDU) veröffentlichte jüngst die aktuelle Landesberichterstattung für Gesundheitsberufe. Diese Form der Berichterstattung begrüßen wir ausdrücklich, denn so gelingt es, belastbare Daten über die Entwicklung der Versorgungssituation in den Gesundheits- und Therapieberufen zu gewinnen und teilweise gerne wiederholte Mythen zu widerlegen.

Deutlich gestiegene Teilnehmerzahlen bei den Ergotherapiepraxen

Als BED hatten wir in diesem Jahr konkret an der Konzeption der Fragestellung mitgewirkt und unsere Mitglieder auf die Teilnahme hingewiesen. Deshalb ist es besonders erfreulich, dass die Anzahl von Teilnehmenden aus dem Bereich der Ergotherapie in diesem Jahr deutlich gestiegen ist. Für das Jahr 2019 hatten lediglich 48 Berufsangehörige an der Befragung des Ministeriums teilgenommen. In der aktuellen Befragung stieg die Zahl auf 609 Teilnehmende, sodass nun auch für die Ergotherapie relevante Aussagen durch die Forschenden getroffen werden konnten.

Schulgeldfreiheit wirkt – Ergotherapie mit 86 % mehr Schüler:innen

In den Jahren 2012 bis 2017 zeigten sich für die Ergotherapie und die Physiotherapie im Trendverlauf rückläufige Schülerinnen- und Schülerzahlen. Im Vergleich der Berichtsjahre 2018 zu 2022 zeigte sich für die Ergotherapie ein Anstieg der Zahlen um 86,8 Prozent (von 439 auf 820), für die Physiotherapie um 60,3 Prozent (von 1.135 auf 1.819) sowie für die Logopädie um 35,8 Prozent (von 204 auf 277).

Minister Laumann griff diesen Punkt bei der Präsentation der Ergebnisse auf und betonte:

„Ich bin froh, dass wir durch die Einführung der Schulgeldfreiheit im Berichtszeitraum weiter steigende Ausbildungszahlen bei den Therapieberufen erreichen konnten. Den Therapieberufen kommt eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung zu“.

In der Ergotherapie geringere Abbruchquoten

Besondere Bedeutung für die Sicherung der Fachkräftebedarfe kommt der Quote der erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen zu. Verglichen mit den Abbruchquoten in dualen Ausbildungsberufen, für die das Bundesinstitut für Berufsbildung für das Jahr 2019 eine Auflösungsquote von 27 Prozent ausweist, sind die Abbruchquoten an den Ergotherapieschulen mit 16,5 % für das Jahr 2019 eher gering. Auch in der Physiotherapie (24,8 %) und der Logopädie (30,7 %) lagen die Abbruchquoten deutlich höher.

Hoher Fachkräftebedarf

Ein Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf der Beschäftigungsentwicklung. Für die Therapieberufe wird ausgeführt:

„Im Juni 2022 erfolgten für die Ergotherapie 10.854 Meldungen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung; seit dem Referenzjahr 2016 ist damit eine Zunahme des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsvolumens um 31,2 Prozent auszumachen (+2.581 Personen). Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Logopädie ist seit 2016 um 36,4 Prozent auf aktuell 5.317 Personen gestiegen (+1.420 Personen). Bei der Physiotherapie ist seit dem Jahr 2016 ebenfalls ein deutlicher Aufwuchs sozialversicherungspflichtig Beschäftigter festzuhalten. Bei relativ gleichbleibenden Arbeitslosenzahlen übersteigen z.B. bei der Physiotherapie die aktuell offen gemeldeten Stellen (1.163) die Anzahl der Arbeitslosenmeldungen (350) um mehr als das Dreifache. In allen Therapieberufen sind in der Entwicklung seit 2016 tendenziell steigende Zahlen an offen gemeldeten Stellen zu beobachten.“ (Gesamtbericht S. 12)

Zum aktuellen Personalbedarf stellen die Forschenden fest:

“In 134 logopädischen Praxen werden zusätzliche Personalkapazitäten von 193 VZÄ angegeben, 279 Physiotherapiepraxen vermerken einen Personalbedarf von 506 VZÄ und in 180 Ergotherapiepraxen werden 343 VZÄ-Kapazitäten gebraucht. Somit werden allein in der vorliegenden Stichprobe rund 1.040 zusätzliche Therapeutinnen und Therapeuten summiert. Bis zur erfolgreichen Besetzung einer offenen Stelle benötigten im Jahr 2022 rund 60 Prozent der Therapiepraxen länger als 12 Monate. Nur 12,5 Prozent der Praxen mit Personalbedarf benötigten weniger als 6 Monate.“

Versorgungsprobleme offensichtlich und klar dokumentiert

Die Betrachtung der Ergebnisse aus den Befragungen der Praxen offenbart aktuelle Versorgungsprobleme. Dominant ist die Aussage, dass die Personalkapazität insgesamt nicht oder gar nicht dem angefragten Bedarf an Heilmittelerbringung entspricht (88,8 %). 88,9 % der 851 Antwortenden gaben zudem an, dass sich die Wartezeit auf einen Termin gegenüber dem Vorjahr für Patient:innen verlängert habe. Die Forschenden weisen explizit darauf hin, dass trotz eines deutlichen Anstiegs an sozialversicherungspflichtig Beschäftigen in den Therapieberufen der Fachkräftemangel offensichtlich als limitierender Faktor bei der Erbringung angefragter Heilmittelversorgung für die Bevölkerung wirkt.

Knapp 70 % der befragten Heilmittelpraxen reduzierten zudem die Therapiefrequenz, um mehr Anfragen bewältigen zu können. 78 % berichteten über eine deutlich gestiegene Anzahl von Anfragen für Hausbesuche. 73,5 % der Praxen konnten selbst bei Anfragen mit dringendem Behandlungsbedarf keinen Termin innerhalb von 14 Tagen anbieten.

Personalgewinnung – woher kommen Fachkräfte?

Die befragten Ergotherapiepraxen in NRW erhielten mit 38,2 % den größten Teil neuer Fachkräfte direkt aus der fachschulischen Ausbildung. Der hochschulische Ausbildungszweig sorgte für 5,6 % Fachkräftezuwachs in den Praxen. 29,2 % neu angestellter Fachkräfte wechselte aus anderen Praxen, während die Zuwanderung aus Vorsorge- oder Rehabilitationskliniken mit 6,7 % eher gering war und auch Berufsrückkehrer mit nur 5,6 % für nur wenig Entlastung für die Versorgung sorgten. Nach Angaben der Forschenden stammten ansonsten nur geringe Anteile weiterer neu in den Praxen beginnender Therapeutinnen und Therapeuten aus Krankenhäusern, aus sonstigen Beschäftigungssektoren und aus dem Ausland.

Bewertung zur Berufsausübung

Für das Jahr 2023 hatte mehr als ein Drittel der befragten Therapeutinnen und Therapeuten angegeben, den Umfang der therapeutischen Tätigkeit reduzieren zu wollen. Die Zufriedenheit mit dem therapeutischen Beruf insgesamt wurde von den Befragten noch positiv beantwortet. Deutlich unzufrieden war man mit dem Einkommen für die geleistete Arbeit als Therapeut:in. Hier waren die Berufsangehörigen der Logopädie allerdings deutlich positiver gestimmt als diejenigen der Ergotherapie und der Physiotherapie. Auch bei der Einschätzung, wie sich die Arbeitsbedingungen, die die Befragten erleben, sich im Laufe der Berufsjahre verändert haben, liegen die Berufsgruppen teils deutlich auseinander. Die Physiotherapie kommt hier zu einer eher negativen Bewertung, die Ergotherapie zeigt sich neutral und die Logopädie bewertet die Entwicklung der Arbeitsbedingungen eher positiv.

Entwicklung der Zulassungen / Einschätzung zur eigenen Praxisführung

Die Forschenden weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Ergebnisse der Befragung den Rückschluss zulassen, dass für den überwiegenden Anteil der Befragten, die im Angestelltenverhältnis oder als Freie Mitarbeitende tätig sind, in den nächsten fünf Jahren eine eigene Praxis kein berufliches Ziel darstellt.

Für die Ergotherapie wird ein Anteil von 14,2 % der Berufsangehörigen mit eigenem Kassensitz angegeben. Für die Physiotherapie beträgt die Quote 20,2 % und für die Logopädie 29,5 %.

In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass nach Auskunft der Forschenden die GKV-Zulassungen nach Anerkennung der neuen Versorgungsverträge im Jahr 2022 gegenüber dem Jahr 2020 deutlich um 1.800 Praxen reduziert werden mussten.

Der von Seiten der GKV seit Jahren beschworene „Run“ auf die Selbständigkeit lässt sich somit insbesondere für den Bereich der Ergotherapie bezweifeln.

Rückblick auf COVID-19

Die Forschenden bewerteten auch die Auswirkungen der Pandemie auf die Praxen und die ambulante Heilmittelversorgung. Es zeigte sich, dass insbesondere Krankheitsausfälle von Mitarbeitenden zu großen Mehrbelastungen für das verbleibende Personal und zu massiven Beeinträchtigungen der Versorgung der Klient:innen geführt haben.

Auch die Zutrittsregelungen zu Pflegeheimen führten zu massiven Beeinträchtigungen der Behandlung der dort lebenden Klient:innen.

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht führt aus der Sicht von 57 % der Befragten nicht zu einer Erschwerung der Suche nach neuen Mitarbeitenden.

Die zusätzlichen Hygieneaufwendungen belasteten die Therapiezeitkontingente und führten damit ebenso wie die krankheitsbedingten Ausfälle zu Umsatzverlusten in den Praxen. Dabei deckten aus Sicht von 94 % der Befragten die bewilligten Mittel für zusätzlichen Hygieneaufwand nicht die notwendigen Materialkosten.

Berichterstattung räumt mit Mythen auf

Insgesamt lässt sich anhand der Landesberichterstattung ebenso festhalten, dass von GKV-Seite gerne erzählte Mythen tatsächlich keine Substanz haben. Der angebliche Run auf die Selbständigkeit, die Unterstellung Therapiepraxen hätten sich mit den Coronahilfen die Taschen voll gemacht und die Aussage, man wisse nichts von Versorgungsproblemen, werden durch die Berichterstattung klar widerlegt. Dies wird erfahrungsgemäß zwar nicht dazu führen, dass diese Mythen nicht fleißig weiter ins Feld geführt werden, aber die Erwiderung kann mit Verweis auf die Landesberichterstattung zukünftig kürzer ausfallen.

Handlungsempfehlungen

Die Forschenden weisen darauf hin, dass die Versorgungssicherung eine bleibende Herausforderung darstellt, die aufgrund der Komplexität auch nicht monothematisch „abgehandelt“ werden kann. Sie schlagen vielmehr eine Handlungsmatrix vor, die folgende sieben Felder beinhaltet:

  • Ausbildung steigern

  • Fachkräftesicherung vor Ort betreiben

  • Attraktive Beschäftigung

  • Migration und Integration befördern

  • Imageentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit

  • Innovationen und Eigenverantwortung

  • Versorgung gestalten und ermöglichen

Im Detail werden diese Handlungsfelder dann mit insgesamt 68 Beispielen mit dem Fokus auf die Pflegeberufe versehen, aber die übergeordneten Handlungsfelder sind aus Sicht des BED auch direkt auf die Therapieberufe übertragbar und werden von uns ebenfalls durch die Forderungen unseres Zukunftspapiers als auch unsere konkrete berufspolitische Arbeit unterstützt.

Beispielsweise ist der BED e.V. dauerhaft mit dem Bundesministerium für Gesundheit im Gespräch rund um das Thema Modernisierung der Berufsgesetze, Ausbildungsvergütung, Akademisierung und eine bessere und schnellere Vermittlung kompetenter aus dem Ausland kommender ergotherapeutischer Fachkräfte.

Durch unsere gerichtlichen Klagen sowie im Rahmen der Vertragsverhandlungen und Schiedsverfahren betreiben wir grundsätzlich Fachkräftesicherung und für die Imageentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit startet der BED e.V. im kommenden Jahr eine groß angelegte Kampagne.

Zudem gestalten wir konkret die Versorgung durch die Förderung digitaler und innovativer Projekte.

Fazit und Ausblick

Wir begrüßen die erfolgreiche Ausgestaltung dieser Art des Gesundheitsberufemonitorings und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit im Rahmen des nächsten Projektes in NRW.

Aktiv werben wir dafür, in weiteren Bundesländern ein vergleichbares Monitoring einzuführen, aktuell gerade im Rahmen des Paktes für Gesundheits- und Pflegeberufe in Schleswig-Holstein.

Auf unserer Webseite arbeiten wir teilweise sprachlich dem Duden entsprechend mit dem generischen Maskulinum. Dies bedeutet, dass die allgemein bekannte verallgemeinernde, grammatikalisch männliche Bezeichnung gewählt wird. Hiermit sind in jedem Fall Personen aller Geschlechter gleichermaßen gemeint.
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