Veröffentlicht am 12.12.2025
Die FinanzKommission Gesundheit – und was der BED eingebracht hat

Mit der FinanzKommission Gesundheit hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Herbst 2025 ein Expert*innengremium eingesetzt, das Vorschläge erarbeiten soll, wie die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab 2027 stabil gehalten werden können – bei gleichzeitig guter Versorgung. Die Kommission besteht aus zehn Fachpersonen aus Ökonomie, Medizin, Sozialrecht, Ethik und Prävention und soll bis Ende März 2026 erste kurzfristige Reformvorschläge, bis Ende 2026 weitergehende Strukturreformen vorlegen.
Mit Blick auf die ungenutzten Ergotherapeutischen Potentiale und weit darüber hinaus hat der BED gegenüber der FinanzKommission für die zukünftige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenkassen seine Eingaben gemacht.
Unsere Vorschläge im Einzelnen:
1. Fünf Vorschläge aus dem Bereich Heilmittel/Ergotherapie
1.1 Zuzahlungen bei Heilmitteln von Fehlanreizen befreien
Der BED weist darauf hin, dass die derzeitige Zuzahlungsregelung in der Heilmittelversorgung Patient*innen unmittelbar und ohne Höchstbeträge an Honorarsteigerungen beteiligt. Das führt in der Praxis zu:
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Verzicht auf notwendige Leistungen
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hohen Zugangshürden, insbesondere für Menschen mit niedrigem Einkommen und für psychisch erkrankte Versicherte
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langfristig höheren Folgekosten, wenn z. B. Stürze, Pflegebedürftigkeit oder Chronifizierungen nicht verhindert werden
Kernforderung: Der besondere Bezug der Zuzahlungen zu prozentualen Beteiligungen ohne Höchstbetrag in § 61 Abs. 1 Satz 3 SGB V soll gestrichen werden. Damit würden Versicherte entlastet und der Zugang zur ergotherapeutischen Versorgung – insbesondere nach § 125a SGB V – verbessert.
1.2 Entbürokratisierung durch Digitalisierung der Heilmittelprozesse
Die aktuelle Steuerung über Heilmittelrichtlinie, Heilmittelkatalog, regionale Vereinbarungen und analoge Verordnungs- und Abrechnungsprozesse bindet enorme Ressourcen, ohne dass diese Steuerung evidenzbasiert nachweislich zu besseren Ergebnissen führt.
Der BED schlägt vor:
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konsequente Einführung der elektronischen Heilmittelverordnung als durchgängiger, digitaler Prozess
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Anpassung der Heilmittel-Richtlinie, Wegfall des Heilmittelkatalogs
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Abschaffung regionaler Heilmittelvereinbarungen, Heilmittelzielvereinbarungen und Regressrisiken
Konservativ geschätzt könnten Krankenkassen dadurch rund 120 Millionen Euro Verwaltungskosten pro Jahr einsparen. In Heilmittelpraxen würden rund 3,3 Millionen zusätzliche Therapiestunden frei, wenn je Verordnung nur wenige Minuten Bürokratie entfallen. Diese Stunden könnten direkt in Versorgung und Prävention fließen.
1.3 Selbstständige Berufsausübung in der Ergotherapie stärken
Die Ergotherapie verfügt über großes Potenzial in Prävention, Lebensstilberatung, Gemeinwesenarbeit, Unterstützung pflegender Angehöriger und in verschiedenen Lebensbereichen wie Schule, Arbeit und häusliche Pflege.
Der BED fordert deshalb:
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einen klaren Schritt weg vom „ärztlichen Hilfsberuf“ hin zu einer eigenständigen Profession
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Anpassungen des allgemeinen Arztvorbehalts (u. a. §§ 15, 28 SGB V)
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Anpassungen der Berufsgesetze und Klarstellungen zur Ausübung der Heilkunde
Allein die Stabilisierung des Pflegebedarfs kann erhebliche Einsparungen bewirken: Wird etwa bei Pflegebedürftigen durch kontinuierliche Ergotherapie die Höherstufung von Pflegegrad 2 auf 3 um ein Jahr verzögert, ergibt sich nach Berechnungen des BED ein Netto-Einspareffekt von rund 4.465 Euro pro Versicherten und Jahr; auf 10.000 Versicherte hochgerechnet wären das etwa 45 Millionen Euro jährlich in der Pflegeversicherung.
1.4 Mehr Effizienz durch Kompetenzerweiterung
Kompetenzerweiterung meint aus Sicht des BED zweierlei:
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Modernisierung der Ausbildung, damit vorhandene Kompetenzen systematisch gestärkt werden
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bessere Nutzung der ergotherapeutischen Expertise in bestehenden Strukturen
Gerade in einem zukünftigen Primärversorgungssystem könnten Ergotherapeut*innen zentrale Aufgaben bei Aufnahme, Steuerung und Zuweisung in interprofessionellen Teams übernehmen – etwa bei der Einschätzung von Funktionsfähigkeit, Teilhabe und Unterstützungsbedarf. Auch bei der Empfehlung und Verordnung von Hilfsmitteln kann ihre Expertise dazu beitragen, Fehlversorgungen deutlich zu reduzieren.
Bei der Hilfsmittelversorgung geht der BED davon aus, dass sich die Fehlversorgungsquote in einer Gruppe von Versicherten mit hohem Hilfsmittelbedarf von 15 auf 7,5 Prozent senken ließe. Bei durchschnittlich 4.000 Euro Hilfsmittelkosten pro Versichertem entspräche das einem Einsparpotenzial von 300 Euro pro Person, dem Kosten für ergotherapeutische Leistungen von rund 252 Euro gegenüberstehen. Unterm Strich bleiben Effizienzgewinne bei gleichzeitig besserer Versorgungsqualität.
1.5 Heilmittel gleichrangig sichtbar machen
In der Heilmittelrichtlinie steht bislang, dass Arznei- oder Hilfsmittel gegenüber Heilmitteln vorrangig zu verordnen sind, sofern sie kostengünstiger sind. Eine realistische Kostenabschätzung ist im Alltag allerdings kaum möglich – der Eindruck „erst Medikamente, dann vielleicht Heilmittel“ verfestigt sich trotzdem.
Der BED fordert daher unter anderem:
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Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie sowie der Heilmittel- und Zielvereinbarungen auf KV-Ebene
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gleichrangige Hinweise auf Heilmittel in Arznei- und Hilfsmittelrichtlinie
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verständliche Verordnungshinweise, weniger Bürokratie, Abschwächung von Regressängsten
Als Beispiel nennt der BED strukturierte ergotherapeutische Sturzprophylaxe nach Hüftoperationen. Schon wenn bei 20 Prozent der Betroffenen sturzbedingte Frakturen vermieden werden, ergibt sich für 10.000 Patient*innen ein Nettoeffekt von etwa einer Million Euro – zusätzliche Effekte auf Mortalität, Reha-Aufwand und Lebensqualität sind darin noch nicht berücksichtigt.
2. Fünf Vorschläge für andere Bereiche des Gesundheitssystems
Neben den fachbezogenen Impulsen hat der BED auch Vorschläge eingebracht, die über den Heilmittelbereich hinausgehen und die Finanzierungsbasis der GKV insgesamt betreffen.
2.1 Versicherungsfremde Leistungen konsequent steuerfinanzieren
Leistungen, die zur staatlichen Daseinsvorsorge gehören, sollten aus Sicht des BED solidarisch über Steuern und nicht über Beiträge finanziert werden.
Nach Berechnungen des WIG2 Instituts lag die Lücke zwischen versicherungsfremden Leistungen und dem Bundeszuschuss im Jahr 2023 bei rund 43,25 Milliarden Euro – das entspricht etwa 2,54 Beitragssatzpunkten.
Konsequente Steuerfinanzierung würde die GKV spürbar entlasten und Spielräume für eine bedarfsgerechte Versorgung schaffen.
2.2 Mehrwertsteuer auf Arzneimittel senken
Arzneimittel sind ein tragender Pfeiler der Versorgung und keine Luxusgüter. Der BED unterstützt daher die Forderung, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf 7 Prozent abzusenken.
Berechnungen gehen von jährlichen Einsparungen in Höhe von 6 bis 7 Milliarden Euro aus – das entspricht ungefähr 0,3 Beitragssatzpunkten.
2.3 Beitragsbemessungsgrenze anheben und Finanzierung verbreitern
Grundsätzlich stellt der BED die Frage, ob die derzeitige Beitragsbemessungsgrenze mit Blick auf Verteilungsgerechtigkeit noch zeitgemäß ist. Mindestens aber sollte sie angehoben werden.
Stellungnahmen aus der Wissenschaft zeigen, dass allein eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze den Beitragssatz in der GKV um etwa 0,8 Punkte senken könnte; in Verbindung mit einer Einbeziehung aller Einkunftsarten wären sogar um die 2,1 Punkte Entlastung denkbar.
2.4 Zahl der gesetzlichen Krankenkassen reduzieren
Aus Sicht des BED treibt die hohe Zahl an Krankenkassen die Komplexität der Versorgung: unterschiedliche Genehmigungsverfahren, Abrechnungswege und Versorgungsprogramme führen zu aufwendigen Prozessen in Praxen und Einrichtungen.
Die Idee:
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Verwaltungsaufgaben bündeln und skalieren
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Prozesse vereinheitlichen und digitalisieren, perspektivisch auch unter Nutzung von KI
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wissenschaftlich überprüfen, ob Prüf- und Genehmigungsprozesse tatsächlich Versorgung verbessern
Schätzungen zufolge könnten durch Konsolidierung und effizientere Prozesse 7 bis 12 Milliarden Euro eingespart werden – bei gleichzeitig weniger Bürokratie für Leistungserbringer*innen und Versicherte.
2.5 Steuer oder Abgabe auf Zucker
Die gesundheitlichen Folgen von hohem Zuckerkonsum – Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen – sind gut belegt. Eine höhere Besteuerung zuckerhaltiger Produkte könnte daher doppelt wirken:
Eine Modellrechnung der TU München kommt zu dem Ergebnis, dass eine Zuckersteuer in 20 Jahren bis zu 16 Milliarden Euro an Kosten einsparen und mehr als 240.000 Fälle von Typ-2-Diabetes verhindern oder deutlich hinauszögern könnte.
Besonders profitieren würden Haushalte mit niedrigerem Einkommen, bei denen ernährungsbedingte Erkrankungen überproportional häufig auftreten.
3. Verteilungsgerechtigkeit ist Aufgabe der Politik – nicht der Selbstverwaltung
In seinen offenen Hinweisen an die FinanzKommission betont der BED, dass Finanzierungsfragen immer auch Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen sind.
Ein Beispiel:
Für die Ergotherapie wurden gesetzlich Parameter zur Berechnung von Vergütungssteigerungen festgelegt. In der Verhandlungsrunde für das Jahr 2025 verweigerte der GKV-Spitzenverband jedoch die logisch und mathematisch korrekte Fortschreibung mit Hinweis auf die angespannte Finanzlage. Ohne ein erneutes Schiedsstellenverfahren hätten Ergotherapeut*innen – gewissermaßen als „erste Berufsgruppe“ – unmittelbar mit ihrem Einkommen für politische Versäumnisse bezahlen müssen.
Der BED leitet daraus ab:
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Entscheidungen über Verteilung und Gerechtigkeit müssen vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber getroffen werden
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eine Delegation solcher Kernfragen an die Selbstverwaltung ist problematisch, weil deren Akteure nicht direkt gewählt werden
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es handelt sich um potentiell wahlentscheidende Fragen, die transparent parlamentarisch diskutiert werden müssen
4. Lebensqualität, Teilhabe und die Rolle der Ergotherapie
Abschließend weist der BED darauf hin, dass sinnvolle Betätigung und Teilhabe zentrale Ziele der Ergotherapie sind. Sie beeinflussen patient*innenseitig berichtete Ergebnisse und die gesundheitsbezogene Lebensqualität erheblich.
Deshalb fordert der BED:
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die gesundheitliche Lebensqualität stärker und dauerhaft als Zielgröße in Kosten-Nutzen-Bewertungen zu verankern (Beispiel: § 35b SGB V)
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Heilmittelversorgung sektorenübergreifend zu denken, weil Entscheidungen hier Auswirkungen auf Krankenhaus, Pflege und andere Bereiche haben
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die Rolle der Heilmittel in Debatten zu Ambulantisierung und Primärversorgung konsequent mitzudenken – derzeit werden Ergotherapie und andere Heilmittelberufe in diesen Diskussionen häufig übersehen
Mit seiner Stellungnahme zur FinanzKommission Gesundheit macht der BED deutlich:
Die Stabilisierung der Finanzierungsgrundlage der Gesetzlichen Krankenkassen bedeutet gerade nicht Leistungsabbau und einseitige Überlastung einzelner Berufsgruppen, sondern bedarf einer Versorgungsplanung, die Prävention, Lebensqualität und Teilhabe systematisch mitdenkt und auf einer deutlichen breiteren Finanzierungsbasis als heute steht.
Ausblick: Demokratische Beteiligung nach § 125 SGB V – und warum wir die Vorgänge jetzt grundlegend aufarbeiten
Basierend auf den gesetzlichen Bestimmungen gibt es im Heilmittelbereich 17 maßgebliche Berufsverbände. Sie tragen die Verantwortung für die Versorgung der 5 Heilmittelbereiche.
Dennoch wird seit Jahren versucht, die politische Beteiligung immer wieder künstlich auf eine einzelne Organisation zu reduzieren. Diese Organisation, wird regelmäßig als angeblicher „Spitzenverband“ präsentiert. Der durch jene Organisation selbst vergebene Titel ist jedoch ohne rechtliche Grundlage und ohne jedes Mandat.
Schriftlich bescheinigt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages genau dieser Organisation namens SHV ausdrücklich für den Gesetzlichen Auftrag nach §125 gänzlich bedeutungslos zu sein.
Die zehn freien maßgeblichen Heilmittelverbände – darunter der BED – vertreten ihre Positionen aus vielen guten Gründen eigenständig. Von den 17 Verbänden, sind lediglich 7 in dem selbst ernannten Spitzenverband überhaupt Mitglied.
Wenn eine Behörde also wiederholt die einzige unrelevante Organisation im Heilmittelbereich als deren zentrale Stimme lädt, statt der gesetz1ich legitimierten maßgeblichen Verbände, dann ist das kein Versehen, sondern ein strukturelles Problem.
Es kann nicht angehen, dass die 10 freien Verbände trotz klaren gesetzlichen Auftrags immer wieder einen nicht unerheblichen Teil ihrer Energien zunächst darauf verwenden müssen sicherzustellen, dass sie auch mit am Tisch sitzen, bevor sie sich mit den inhaltlichen Versorgungsfragen befassen können.
Der BED e.V. arbeitet das daher nun konsequent auf – sachlich, rechtlich, politisch, aus Verantwortung für die gesamte Heilmittelversorgung.
Gerade für die Ergotherapierenden ist die gesetzliche Struktur nicht nur ein formales Detail, sondern zentraler Bestandteil professioneller Versorgungspolitik. Der Bundesverband für Ergotherapeut*innen BED e.V. ist seit Jahren dafür bekannt, komplexe Themen präzise, evidenzbasiert und durchsetzungsstark aufzubereiten. Wir arbeiten mit hoher fachlicher Tiefe, bringen pragmatische Lösungsvorschläge ein und liefern nachvollziehbare Berechnungen, die zeigen, wo Versorgung besser, effizienter und wirtschaftlicher werden kann.
Diese Arbeitsweise unterscheidet sich durch ihre besondere Klarheit, Konsequenz und Verlässlichkeit in der Sache. Unsere Mitglieder wissen, dass wir Ergebnisse erzielen; die Branche weiß, dass wir Themen nachhaltig platzieren; und Behörden wissen, dass Stellungnahmen des BED nicht aus Schlagworten bestehen, sondern aus belastbaren Analysen, Modellen und konkreten Handlungsempfehlungen.
Wir stehen für eine Versorgungspolitik, die auf Qualität, Evidenz und realistischen Szenarien basiert. Wir zeigen konkret, wie Ergotherapeutische Versorgung Gesundheit verbessern und gleichzeitig Kosten senken kann. Wir sprechen nicht abstrakt über Potenziale – wir rechnen sie durch und belegen sie. Genau diese Art der fachlich belastbaren Kommunikation braucht der Heilmittelbereich dringend.
Genau deshalb ist es für den gesamten Heilmittelbereich so wichtig, dass diese Perspektive ohne Hürde politisch wahrgenommen wird.
Wenn 17 maßgebliche Verbände fünf Berufsgruppen vertreten, dann müssen deren Einschätzungen auch vollständig abgebildet werden. Alles andere wäre entweder ein Informationsdefizit des BMG – oder eine bewusste Umgehung gesetzlicher Strukturen. Beides wirft kein gutes Licht auf die Behördenpraxis und schadet am Ende der Versorgung in Deutschland.
Diese Klärung ist überfällig. Wir werden sie im Jahr 2026 konsequent vorantreiben – konstruktiv, professionell und stets mit der generellen Bereitschaft zur Zusammenarbeit, wo sie auf Augenhöhe möglich ist.
Eine gemeinsame Arbeit der maßgeblichen Verbände ist ausdrücklich gewünscht und gelebte Realität.